LexCorona: Wiki zu erlassenen Rechtsakten (Gesetze, Verordnungen...) und Gerichtsentscheidungen  

Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (27. März 2020)

Haufe Online Redaktion: Juristische Einschätzungen zu Corona

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, 25. Mai: Zweifel an der Rechtmäßigkeit einiger Verordnungen und Verwaltungsakte in der Corona-Krise bezüglich Kontaktbeschränkungen: „verfassungsrechtlich fraglich“.

Interview: "Zu viele Richter verstehen sich schon fast als Teil der Regierung..." 


6.11.2020

Landkreis verweigert Infektionszahlen

 

So, das ist jetzt bemerkenswert: Während derzeit der Datenschutz vielfach gar nichts mehr wert ist – siehe etwa Gästelisten oder Diagnosen auf Attesten, räumt die Justiz dem „schutzwürdigen privaten Interesse“ plötzlich wieder Gewicht ein und zwar in folgendem Fall: Die Herausgeberin der regionalen Pirmasenser Zeitung beantragte beim Landkreis die Corona-Infektionszahlen aufgeschlüsselt nach einzelnen Ortsgemeinden. Dieser lehnte den Antrag ab: „Auf Empfehlung des Landesdatenschutzbeauftragten würden keine Infektionszahlen auf Ebene der Ortsgemeinde bekanntgegeben“! Argumentiert hatte die Verlegerin mit dem Informationsbedürfnis der Bürger über das Infektionsgeschehen in ihrem Heimatort „und zwar nicht nur aus Neugierde, sondern auch deshalb, weil sich jeder dann besser schützen könne, wenn er wisse, ob evtl. ein Infektions-geschehen im direkten Umfeld vorhanden sei“. „Mit den erwünschten Auskünften sei eine individuelle Zuordnung von Zahlen zu konkret Betroffenen auch in kleinen Ortsgemeinden nicht möglich. Die begehrte Aufschlüsselung führe auch nicht dazu, dass aus der Berichterstattung Rückschlüsse auf bestimmte Personen möglich seien. Sie berufe sich auf das grundgesetzliche geschützte Selbstbestimmungsrecht der Presse.“ Das Verwaltungsgericht räumte sogar ein, dass Eindämmungsstrategien auch an gebietsbezogene Infektionsfallzahlen anknüpften. „Damit böten die umstrittenen Daten zweifellos eine Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung“. Trotzdem behauptet die Kammer eine „beachtliche Gefahr, dass die Veröffentlichung der Infektionszahlen auf Ortsgemeindeebene zu einer Bestimmbarkeit der betroffenen Personen führen werde“. Dabei wird auf diesen Umstand rekurriert: „Die bisherige Entwicklung seit dem Ausbruch der Pandemie habe nämlich gezeigt, dass im Zuge der zunehmend angespannten politischen Diskussion über den richtigen Umgang auch immer wieder versucht worden sei, anknüpfend an Statistiken darüber zu spekulieren, ob sich Infizierte … - möglicherweise zu Unrecht - nicht an die vorgeschriebenen bzw. empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen hielten.“ Woher das bloß kommt.  Wie auch immer: Die von der Justiz abgesegnete Intransparenz bezüglich Infektionszahlen zulasten der Grundlage öffentlicher Meinungsbildung provoziert Spekulationen…

 

Nachtrag vom 30.11.: Das Oberverwaltungsgericht hob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf: "Landkreis muss Corona-Infektionszahlen zu Ortsgemeinden an die Presse herausgegeben - Personenzuordnung allein durch Infektionszahlen nicht möglich." 


10.10.2020

Alles kann sein – nichts ist sachfremd 

 

Den roten Faden gibt es schon. Er schlängelt sich dort entlang, wo Initiativen sowohl gesetzes-technischer als auch populär-kultureller Art letztlich die Überwindung der Rechtsstaatsprinzipien einläuten. Markante Wegmarken wurden 2016 gesetzt, als der bundespolitische Kampf gegen freie Autoren im Internet richtig an Fahrt aufnahm und die Rechtsdurchsetzung interpretations-offen gesetzter Kampfbegriffe wie „Hatespeech“ dem Dritten Sektor respektive einflussreichen Plattformbetreibern übertragen wurde – im Gegensatz übrigens zum wesentlich reservierter gehaltenen General Comment No. 34 zur Meinungsfreiheit, der in seiner 2011 aktualisierten Form im Absatz 43 explizit die sozialen Medien in Schutz nimmt: „Any restrictions on the operation of websites, blogs or any other internet-based … system, including systems to support such communication, such as internet service providers or search engines, are only permissible to the extent that they are compatible with paragraph 3. Permissible restrictions generally should be content-specific; generic bans on the operation of certain sites and systems are not compatible with paragraph 3. It is also inconsistent with paragraph 3 to prohibit a site or an information dissemination system from publishing material solely on the basis that it may be critical of the government or the political social system espoused by the government.“ (Übersetzungshilfe)

 

Im selben Jahr brachte die öffentlich-rechtliche ARD ihr beklopptes Mitmach-TV „Terror - Ihr Urteil“. Wenigstens gab es damals noch erheblichen Protest, wie aus dieser Doku ersichtlich ist. Sogar Legal Tribune Online schrieb unmissverständlich: „Schlimm und unverzeihlich wird es aber, wenn man wie die ARD ein solches fiktives Stück als Blaupause für die Verfassungswirklichkeit ausgibt, hochkomplexe rechtstheoretische Fragen an diesem Maßstab ausrichtet und als Krönung schließlich auf Basis dieser verzerrten Darstellung vom ‚Volksgericht‘ über die Menschenwürde abstimmen lässt, als ob man das Problem mit einem simplen ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ lösen könnte. Es fehlte allein Michael Schanze von ‚1, 2 oder 3‘, der für die richtige Antwort Bälle verteilte … Der Abend ‚Terror‘ sollte die breite Öffentlichkeit über Rechtsfragen aufklären, höhlte aber die Grundlagen unseres Staates aus … Einen solchen Abend mit Zwangsgebühren mitfinanziert zu haben – das müsste für eine Verfassungsbeschwerde reichen.“ Wolfgang Kubicki tat damals seinen Unmut im Focus kund. Einiges davon bietet sich geradezu als Überleitung zur Bewertung der aktuellen „Corona-Maßnahmen“ an. So schrieb etwa der FDP-Vize: „Selbstverständlich ist es Aufgabe des Gesetzgebers, mögliche Gefahren für die Sicherheit der Allgemeinheit durch gesetzliche Maßnahmen einzudämmen. Die für unseren Rechtsstaat jedoch alles entscheidende Frage ist: Wie weit darf der Rechtsstaat mit seinen Maßnahmen gehen, damit er sich selbst als Rechtsstaat nicht überflüssig macht? … Schauen wir rückblickend in die Menschheitsgeschichte, so finden wir sehr viele Beispiele dafür, wie Humanität im Namen der Menschlichkeit mit Füßen getreten wurde … Wenn wir die ‚Grund-Grundlage‘ unserer Verfassung – also ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ – Opportunitätserwägungen unterwerfen, machen wir ein Fass auf, das niemals wieder zu schließen ist. Entweder unsere Verfassung gilt jederzeit, oder sie gilt nicht.“

 

Über die weiteren Jahre hinweg gab es in der Justiz immer wieder mal merkwürdige Vorstöße oder Anpassungen an die Lage, so etwa auch 2017. Aktuell zieht sich der rote Faden durch die Auflösung von Verbindlichkeiten im rhetorischen Sinne: „Der Verlauf der Erkrankung entwickelt sich individuell und kann von leichten bis schweren Symptomen alles beinhalten“, heißt es dort und laut dieser Seite zeige jeder dritte Spitalpatient „Desorientiertheit und Verwirrtheit“. Die hiesige Bundesregierung fürchtet eine „diffuse Verbreitung“ des Coronavirus, Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut repetiert: „Derzeit sei unklar, wie sich die Lage in Deutschland in den kommenden Wochen entwickeln werde.“ Ergänzt man diese schwammigen Aussagen um die angesammelten Widersprüche (sind an dieser Stelle dokumentiert) in der gesamten Sache, dann  könnte das letztlich auch eine Grundlage dafür bieten, das Willkürverbot ad absurdum zu führen. Wo dieses nämlich greift, wenn Entscheidungen von Politik und Justiz auf sachfremden Erwägungen beruhen respektive wenn Maßnahmen, „welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen“ sind, dann wird man den Entscheidern aktuell keine rechtliche Grenze mehr setzen können. Denn erstens ist gar nichts mehr sachfremd, weil alles sein kann, und zweitens ist keine Maßnahme mehr tatsächlich unangemessen, weil nichts vorhersagbar ist, ergo auch diesbezüglich alles sein kann und auch nur dies als verantwortlich gilt: alles in Betracht zu ziehen. Recht klar scheint zu sein: Sollte es jemand darauf anlegen, einen Willkürstaat zu implementieren: Corona ist die Bastelanleitung.  

 

Siehe auch: "ARD-extra-Aufklärung ohne Konsequenz für die Tagesschau. Es ist zum Heulen."

 

Nachtrag vom 14.10.: Die Stadt Essen stellte ein Formular online, mit dem Bürger in Essen Verstöße gegen Corona-Regeln melden können - mit der Option, auch Fotos zum Verstoß hochzuladen, etwa das Nichttragen einer Maske - man siehe dazu erneut den Popanz um die Datenschutzgrundverordnung! "Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) bezeichnete das Formular als 'Denunziationsportal'. Es sei 'mit Sicherheit rechtswidrig und sollte sofort gelöscht werden' ... Eine Aufforderung des Essener Stadtdirektors Peter Renzel zu einer Entschuldigung wies Kubicki am Mittwoch zurück: 'Ich habe nichts zurückzunehmen' ... Es sei aus seiner Sicht unverantwortlich, dass sich einige Behörden nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlten. 'Die Aufforderung zum Hochladen von Fotos ist evident rechtswidrig'."  


22.5.2020

Linksradikale wird Verfassungsrichterin

 

Bild teilt mit: "Die Wahl der Linken-Politikerin Barbara Borchardt (64) zur Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern sorgt bundesweit für Empörung." Sie ist führendes Mitglied der "Antikapitalistischen Linken", die der Verfassungsschutz als linksradikal einstuft und beobachtet. "Zudem sympathisiert Borchardt ganz offen mit der gewaltbereiten Antifa." Die CDU-Fraktion verhalf der "ehemaligen SED-Genossin" ins Amt. "Borchardt bekräftigte hinterher noch einmal, dass sie einen Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen nicht grundsätzlich ablehne. " Verfassungsrechtler Michael Brenner spricht von Skandal: Verfassungsrichter  müssen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. "Wenn jemand einen Systemwechsel will, ist das nicht gegeben. Artikel 14 des Grundgesetzes sichert das Privateigentum." Die Warnung vom Oktober 2019 verhallte mal wieder ungehört: "Linksextremisten unterwandern das bürgerliche Milieu."

 

Nachtrag vom 1.6.: Ostbeauftragter: "Verfassungsrichterin Borchardt verhöhnt Opfer der DDR-Diktatur..." Und Bild: "Zwischen Antifa-Flagge und roten Kampfparolen steht sie in der ersten Reihe mit gewaltbereiten Linksradikalen ... Aufgrund ihres Auftritts, 2016 in Parchim, wurde die DDR-Diplom-Juristin wegen der 'Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten' sogar angezeigt."

 

Nachtrag vom 2.6.: "Jura-Greenhorn wird Hamburgs neue Justizsenatorin - Mit Gallina rückt überraschend eine Nicht-Juristin an die Spitze der Justizbehörde ... Selbst unter den Grünen sind ihre Kompetenzen für den Posten umstritten ... jedoch konsequent ... weil die Grünen mit ihrer Person auch die selbst auferlegte Frauenquote erfüllen ... ermittelt Hamburgs Staatsanwaltschaft unter anderem gegen die 36-Jährige. Der Vorwurf im Raum steht: Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten Michael Osterburg. Der Ex-Fraktionschef der Grünen aus Hamburg-Mitte soll zehntausende Euro an Fraktionsgelder veruntreut haben."

 

Nachtrag vom 14.6.: CDU und SPD lehnen Abwahlantrag ab: "Linksextreme Borchardt - bleibt Verfassungsrichterin." Die Juristin verharmlost Mauerbau und verhöhnt Tote an DDR-Grenze. Und das noch: "Skandal um Linken-Politikerin - Illegaler Immobiliendeal? Borchardt soll DDR-Regimegegner Haus abgepresst haben." Gegenüber Focus wollte sich Borchardt nicht äußern.

 

Nachtrag vom 5.7.: "Die ostdeutsche Rechtsprofessorin Dr. Ines Härtel von der Europa-Uni. Viadrina wird neue Richterin des Bundesverfassungsgerichts … Dass die Wahl nach langem Ringen auf die Professorin fiel, kam ... unerwartet … Ines Härtel bringt nun mit, worum so lange gestritten worden war: Eine 'Ost-Biografie' - sie stammt aus der ehemaligen DDR." Für die Tagesschau ist "Härtels Wahl - 'ein wichtiges Signal' - Zum ersten Mal gehört dem höchsten deutschen Gericht damit eine Ostdeutsche an. Und zum ersten Mal gibt es mehr Richterinnen als Richter ... hatten die SPD-geführten Länder das Vorschlagsrecht. Sie konnten sich erst nach längerem Streit auf Härtel als Kandidatin verständigen."

 

Siehe auch die Justiz betreffend: "In Frankfurt wurde ein Oberstaatsanwalt festgenommen und sitzt in U-Haft. Es geht um krumme Geschäfte in ganz großem Stil. Die Politik ist aufgeschreckt ... Der Fall habe eine Dimension, die eine umgehende Unterrichtung des Parlaments erfordere ... wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Bestechlichkeit ... Ermittlungsverfahren eingeleitet."

 

Nachtrag vom 3.8.: Gutachten schlecht, Beschwerden bei Gericht und Generalstaats-anwaltschaft vergebens: "Skandal um ... Oberstaatsanwalt Alexander B. weitet sich aus. Gegen ihn wurden jetzt weitere Vorwürfe bekannt. So soll B. Druck auf beschuldigte Personen und Kliniken ausgeübt haben, die Strafverteidiger zu wechseln, wenn diese ihm nicht genehm waren. B. wird vorgeworfen, ein Unternehmen mit Gutachteraufträgen versorgt und dafür insgesamt 240.000 Euro Provision kassiert zu haben. Der 53 Jahre alte frühere Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt sitzt seit vergangener Woche in Untersuchungshaft." Es sollen weitere Firmen in die Affäre verwickelt sein, es gibt mehrere Strafanzeigen. Weiteres !

 

Nachtrag vom 6.8.: "Bestechlichkeitsvorwürfe gegen Justizbeamten in Hessen - Künftig Vier-Augen-Prinzip bei Gutachtenvergabe." Landesjustizministerin: "Beispielloser Fall."

 

Nachtrag vom 10.9.: "Linkenkandidatin Hennig-Wellsow - 'Zum Regieren braucht es realistische und radikale linke Einstellungen'." Siehe auch: Verflechtungen: Linkspartei und radikale Szene.

 

Nachtrag vom 26.9.: "46 neue Stellen in neun Monaten - Grüne Personalpolitik: Sachsens Justizministerin schafft Posten für Parteifreunde - Gericht rügt grüne Personalpolitik als 'Günstlingswirtschaft' ... In der Vergangenheit war Meier in die Kritik geraten, da sie als Jugendliche Bassistin in einer Punk-Band war, die polizeifeindliche Texte verbreitet hatte." Siehe dazu: Die Freien Wähler erstatteten Anzeige gegen die Justizministerin und wollen den Bund der Steuerzahler sowie den Landesrechnungshof einschalten. 


6.5.2020

Alle Macht den Portalbetreibern?

 

Ganz nebenbei wird in einer Urteilsbegründung ein höchst fragwürdiger Aspekt juristisch zementiert. Es geht um Löschung positiver Bewertungen auf einem Ärztebewertungsportal. Der Algorithmus des Portals habe die Bewertungen als manipuliert eingestuft. Der Arzt klagte gegen die Löschung. Doch das Oberlandesgericht München wies auch dessen Berufung zurück: „Ein Anspruch auf Wiederherstellung der Bewertungen bestehe nicht … Die Löschung sei aber gerechtfertigt, wenn der Verdacht der Manipulation der Bewertung besteht. Das Interesse der Portalbetreiberin und der Nutzer daran, verdächtige Bewertungen zu löschen, um das sich auf der Plattform ergebende Meinungsbild nicht zu verfälschen, sei höher zu bewerten als das Interesse des Arztes daran, nicht durch die Löschung nicht ausschließbar doch valider Bewertung in seiner Kundenakquise beeinträchtigt zu werden.“ Bis dahin könnte man wohl noch mitgehen. Aber: „Die Portalbetreiberin sei nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht verpflichtet, offenzu-legen, wie der von ihr eingesetzte Algorithmus zum Aufspüren verdächtiger Bewertungen funktioniert. Es handele sich dabei um ein nicht zu offenbarendes Geschäftsgeheimnis. Würde der Verkehr die Funktionsfähigkeit kennen, könnten Umgehungsmöglichkeiten entwickelt werden.“ Es kann also theoretisch irgendein billig und unzuverlässig produzierter Algorithmus eingesetzt werden oder vermutlich auch gar keiner – wer soll das feststellen, wenn dieser intransparent bleiben darf? Es muss nicht vorkommen, aber potenziell könnten Portalbetreiber, die sich also diesbezüglich keinerlei Kontrollen unterziehen müssen, nach eigenem Gusto Bewertungen löschen und dann behaupten, der Algorithmus habe das veranlasst? Gebührt Portalbetreibern eine derartige Macht? Ein merkwürdiges Rechtsverständnis macht sich breit.

 

Nachtrag vom 11.6.: Ein weiteres Urteil: "Bewertungsportal muss auf Tatsachen beruhende negative Bewertung über eine Arztpraxis nicht löschen ... Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat." Nachtrag: Beschluss 19.11.: "Ärzte­bewertungs­portal darf bei einem begründeten Verdacht von 'gekauften Bewertungen' das Arztprofil mit einem Warnhinweis kennzeichnen." Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten hier. 


29.4.2020

Zahlungsweigerung der Versicherer

 

Die interpretationsoffene Rechtslage in der Coronakrise nutzen auch einige Versicherungsgesell-schaften dreist aus. „Hoteliers und Gastronomen erhalten zunehmend Absagen von den Anbietern ihrer Betriebsschließungsversicherungen (BSV). Viele wollen statt der vollen Summe ‚aus Kulanz‘ nur 10 bis15 Prozent zahlen … Und das auch nur unter Bedingung, dass der Versicherungsnehmer sich in einer ‚Abfindungserklärung‘ (Ergo) bereit erklärt, im Nachhinein auf Ansprüche aus der BSV zu verzichten.“, berichtet Legal Tribune Online (LTO). (!)

 

Die Ergo brüstet sich noch selbstgefällig damit: „Wegen der ungeklärten Rechtslage und zur Vermeidung eines Rechtsstreits sind wir im Erledigungsinteresse vergleichsbereit.“ Es biete aber die BSV „Versicherungsschutz für Unternehmen, deren Betrieb beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger aufgrund Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) geschlossen wird“. Eigentlich doch eine klare Aussage. Aber, so LTO weiter: „Die aktuellen Betriebsschließungen wegen des Coronavirus erfolgen allerdings nicht auf der Grundlage des IfSG, sondern aufgrund der von den einzelnen Bundesländern getroffenen Allgemeinverfügungen.“ Der Signal Iduna-Sprecher folgert aus der bürokratisierten Feststellung: „Und bei Allgemeinverfügungen leistet prinzipiell keine Betriebsschließungsversicherung.“ Eine geradezu kafkaeske Haltung fördert ein Sprecher der Allianz zutage: „Die Schließung der Betriebe erfolgt aus generalpräventiven Gründen und nicht, weil von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht.“ (!!!) Der neue Krankheitserreger falle auch „nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherung“. (?)

 

Auf das Bundesjustizministerium in der Sache zu hoffen ist offenkundig nicht zielführend. Dieses beobachte die „Situation und das Verhalten der Versicherer aufmerksam“ und flüchtet sich auf folgenden lapidaren Gemeinplatz: „Die Beteiligten sollten unter sorgfältiger Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile entscheiden, ob sie sich einem solchen Kompromiss anschließen möchten“ – eine höflich formulierte, in der Sache bodenlos unverschämte Provokation gegenüber Betreibern, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Dass im Übrigen die „15 Prozent-Lösung“ auf Initiative der Bayerischen Landesregierung entwickelt wurde, wie LTO anmerkt, ist nicht nur moralisch brisant. Die Politik hat nämlich schon Ende Januar auf die Meldepflicht des Coronavirus bestanden, die von Versicherern nach Treu und Glauben in den Rechtsstaat in ihren BSV nicht willkürlich ignoriert werden kann. Die Melde-pflicht ist in der „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus“ (kurz: Corona-Meldepflichtverordnung) festgesetzt. Verstößt hier die bayerische Politik indirekt gegen eine legislative Maßnahme des Bundes, indem sie nicht rechtskonforme Vereinbarungen der Versicherungen letztlich gut heißt? Oder kann jetzt jedes Land beschließen, was ihm einfällt?


8.4.2020

2-Personen-Demo verboten

 

Bei der Hessenschau darf der Verfassungsrechtler Georg Hermes die Polizei an den Pranger stellen, die eine Seebrücke-Demonstration in Frankfurt aufgelöst hat. Rund 400 Flüchtlingsaktivisten hatten sich am Mainufer zum Protest versammelt. Man sollte sich allerdings nicht schon davon beeindrucken lassen, dass die einzelnen Demonstrationsteilnehmer einen Sicherheitsabstand von 2,50 Meter einhielten. Das Verwaltungsgericht Neustadt hat jetzt nämlich das Verbot einer 2-Personen-Demo in Kandel für rechtmäßig erklärt. (!) Zum Vorhaben der Demonstranten: „Die Versammlung sollte um 14 Uhr mit einer Auftaktkundgebung in der Nähe eines Supermarktes in Kandel beginnen und ausschließlich auf den Gehwegen durch mehrere innerörtliche Straßen wieder zurück zum Ausgangsplatz führen. In der Anmeldung hieß es, die Versammlung solle mit einem Megaphon, einem kleinen Bollerwagen mit mobiler Beschallungsanlage und zwei Schildern durchgeführt werden. Es würden nur zwei Personen inklusive des Versammlungsleiters an der Kundgebung teilnehmen. Eine Gegenveranstaltung sei nicht zu erwarten, da die Versammlung nicht beworben werde.“ Der Landkreis Germersheim daraufhin: „Der Antragsteller könne weder sicherstellen noch verhindern, dass sich weitere Personen spontan der 2-Personen-Versammlung anschließen würden.“ Gegenprotest sei sicher zu erwarten. Das führe dann zum Verstoß der Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz, die Menschenansammlungen untersagt. Deutsche Richter sind gründlich. Je nachdem.

 

Siehe auch das Bundesverfassungsgericht zur Versammlungsfreiheit in einem anderen Fall.

 

Nachtrag vom 15.4.: Bundesverfassungsgericht: "Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Gießen und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein Versammlungsverbot teilweise stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Beschwerdeführers gegen die Verfügung der Stadt Gießen insoweit wiederhergestellt, als danach die von dem Beschwerdeführer für den 16. und 17. April 2020 angemeldeten Versammlungen verboten wurden. Die Versammlungsbehörde hatte unzutreffend angenommen, die Verordnung der Hessischen Landesregierung zur Bekämpfung des Corona-Virus enthalte ein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören und daher die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit verletzt, weil sie nicht beachtet hat, dass zu deren Schutz ein Entscheidungsspielraum bestand. Die Stadt Gießen hat, wie die Kammer ausdrücklich entschieden hat, Gelegenheit, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer erneut darüber zu entscheiden, ob die Durchführung der vorgenannten Versammlungen von bestimmten Auflagen abhängig gemacht oder verboten wird."

 

Nachtrag vom 20.4.: "Antragsteller beantragte am 14. April 2020 beim Verwaltungsgericht Stuttgart, die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die angemeldeten Versammlungen zu genehmigen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ... ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg durch Beschluss vom 15. April 2020 zurück..."


30.3.2020

Urteile zu Corona-Maßnahmen mit Nachträgen

 

Es gibt weitere Kläger gegen die massiven Einschränkungen in der Corona-Krise. „Das Verwaltungsgericht Aachen hat ... zwei Eilanträge von Betreibern einer Lottoannahmestelle und eines Pralinenfachgeschäfts abgelehnt, mit denen diese sich gegen die Schließung ihrer Betriebe gewendet hatten.“ Begründung: Die Stadt Würselen habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Maßnahmen zur Risikominimierung, um besonders anfällige Personengruppen vor Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen, erforderlich seien. Lottoannahmestellen und Pralinenfachgeschäfte „gehörten nicht zur Grundversorgung der Bevölkerung und seien zur Sicherstellung des täglichen Bedarfs nicht notwendig“. Zudem hätten Bund und Land Finanzhilfen zugesagt. Siehe dazu ntv: „Andrang sprengt Server – Die Lage vieler Kleinunternehmen und Soloselbstständiger ist verzweifelt. Binnen weniger Tage gehen nun Hunderttausende Anträge auf Soforthilfen bei den Bundesländern ein.“ 

 

In Berlin hat ein Asylrechtler in Form eines Normenkontrollantrags beim Oberverwaltungs-gericht wegen Verletzung seiner Berufsfreiheit geklagt. „Er will die Corona-Beschränkungen in der Hauptstadt vorläufig außer Kraft setzen lassen, soweit die Berliner ihre Wohnung für den Gang zum Anwalt nur dann verlassen dürfen, wenn sie einen ‚dringend erforderlichen Termin‘ bei diesem nachweisen. Aus Sicht von Lehnert wird es seinen Mandanten durch diese Regelung erheblich erschwert, ihn aufzusuchen und um Rechtsrat zu bitten. Er sieht dadurch deren Zugang zum Recht gefährdet und moniert zudem einen Eingriff in seine Berufsfreiheit ohne ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Er werde durch die Berliner Bestimmung an der Wahrnehmung seiner Funktion als Organ der Rechtspflege gehindert.“ Es sei auch „mit rechtsstaatlichen Geboten unvereinbar, dass jemand gegenüber der Polizei offenlegen müsse, weshalb er zum Anwalt wolle“. Potentiell kurios: Ausgerechnet ein von Abschiebung Bedrohter, der seinen Anwalt aufsuchen will, müsste das vorher gegenüber der Polizei angeben. Aber auch „im Familienrecht oder in Fällen sexualisierter Gewalt“ sei die Berliner Verordnung hoch problematisch.

 

In Bremen lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag einer Einzelhandelsgesellschaft gegen das mit Allgemeinverfügung vom 23.3.2020 erlassene Verbot der Ladenöffnung ab. Begründung: „Auch wenn Sonderpostenmärkte unter anderem Lebensmittel anbieten, fallen sie nicht unter die Ausnahmen für den Einzelhandel für Lebensmittel … Geschäfte mit ‚Mischangebot‘ würden entsprechend nicht von der Ausnahme erfasst, da sie für die Versorgung der Bevölkerung nicht essentiell notwendig seien … Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.“ Und noch in Bayern: „Der Kläger argumentiert in der noch nicht endgültig entschiedenen Popularklage unter anderem damit, die Verordnung zu den Ausgangsbeschränkungen greife in unverhältnismäßiger Weise in Freiheitsrechte der Bürger ein. Er will erreichen, dass die Verordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird.“ Die sofortige Außervollzugsetzung der Ausgangsbeschränkung per einstweiliger Anordnung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof allerdings schon verworfen. 

 

Nachtrag vom 31.3.: VG Göttingen: "Große Feiern dürfen durch Allgemeinverfügung zum Schutz vor Corona untersagt werden." OLG Karlsruhe: "Wird eine Hauptverhandlung wegen der Coronapandemie ausgesetzt, kann die Untersuchungshaft des Angeklagten verlängert werden."  Kommentar eines Fachanwalts: "Noch in dieser Woche will das OVG NRW über das Kontakt-verbot in NRW entscheiden. Gleichzeitig begegnet der Innenminister derartigen Verfahren mit Unverständnis oder Ignoranz. Dabei braucht es mehr Rechtsschutz denn je ... Kommentierung von NRW-Innenminister Herbert Reul spricht dafür, dass in der derzeitigen Not der Modus 'Handeln vor Denken' Oberhand gewonnen hat. Das ist staats- und verfassungsrechtlich nicht zu akzeptieren und auch keine Diskussion von allein akademischer Bedeutung, sondern muss Alarmstimmung verbreiten, weil die Behörden sich hier in Teilen womöglich der Bindung von Recht und Gesetz entledigen. Sie tun dies – das darf man wohl annehmen – in dem Bewusstsein das derzeit Beste beschließen zu wollen. Aber sie brauchen auch hierfür demokratische Legitimation, die ihnen womöglich aber erst noch vom Landtag einzuräumen" wäre.

 

Nachtrag vom 2.4.: "Ex-Verfassungsrichter Papier: 'Wenn sich das länger hinzieht, hat der liberale Rechtsstaat abgedankt' ... Die Diskussion, inwieweit die Bundesregierung die Freiheit der Gesellschaft aufs Spiel setzt, nimmt Fahrt auf ... der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, warnt vor einem lange währenden Eingriff in die Grundrechte ... Derzeit hält er die Einschränkung der Bewegungsfreiheit aber für rechtmäßig. Politik und Verwaltung müssten nur immer wieder prüfen, ob es weniger einschneidende Maßnahmen gebe. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) plädierte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland deshalb für ein Verfallsdatum aller getroffenen Maßnahmen von zwei Monaten. FDP-Chef Christian Lindner forderte die Bundesregierung abermals auf, Perspektiven für eine schrittweise Lockerung der Beschränkungen zu eröffnen, um die Akzeptanz der Bevölkerung nicht zu gefährden." Siehe auch: "Die Regierung ermächtigt sich in der Corona-Krise selbst – zulässig ist das nicht - Wir müssen die Verfassung schützen. Auch in diesen Zeiten. Es geht um die schwersten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik..." Außerdem: Bundesverfassungs-gericht (BVerfG) hat einen "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen einer infektionsschutzrechtlichen Rechtsverordnung des Landes Berlin" abgelehnt. Begründung des Beschwerdeführers: "Die Verordnung stelle unmittelbar geltende, keines weiteren Vollzugakts bedürfende Verbotssätze auf, durch die er selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten" betroffen sei. Zur Kontaktsperre: "Die Regelung verstoße gegen das Wesentlichkeitsgebot und damit gegen das Rechtsstaats-prinzip. Sie sei von der Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG nicht gedeckt" und unverhältnismäßig. Begründung des BVerfG zur Ablehnung der Beschwerde: "Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil sie unzulässig ist." Gegenstand der Beschwerde seien nur einzelne Paragraphen, "nicht die Rechtsverordnung insgesamt"... "Überdies entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen." 

 

Nachtrag vom 6.4.: "Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung verbunden hat, gegen die Begrenzung der Kündigungsmöglichkeiten eines Mietverhältnisses durch Vermieter im Rahmen von Neuregelungen, mit denen der Gesetzgeber auf die COVID-19-Pandemie reagiert hat. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen."

Außerdem: "Ver­fassungs­beschwerde gegen die Verbote zur Eindämmung der Corona-Pandemie setzt grundsätzlich die Ausschöpfung des ver­waltungs­rechtlichen Rechtsschutzes voraus. Es ist insofern zunächst eine negative Feststellungsklage zu erheben." Eine Entscheidung des BVerfG.

Noch was: "Eilanträge gegen die Corona-Maßnahmen blieben bisher in der Regel erfolglos. Ein Weinhändler hatte nun aber Erfolg: Er darf das feine Zeug verkaufen, denn auch Genussmittel fielen unter den Lebensmittelbegriff, so das VG Aachen ... Der Weinhändler darf sein Geschäft also wieder öffnen. Die Stadt Aachen kann als Antragsgegnerin aber noch Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster entscheiden müsste." Siehe auch"Bürger in der Bundeshauptstadt dürfen wegen des Coronavirus nur für 'dringend erforderliche' Termine zum Anwalt. Ein Berliner Anwalt sieht sich dadurch in seiner Berufsfreiheit verletzt. Das VG hält den Eingriff aber für gerechtfertigt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht ... seinen Normen-kontrollantrag gegen eine Corona-Beschränkung in der Hauptstadt als unzulässig abgewiesen hat, ist ein Migrationsrechtler auch vor dem Verwaltungsgericht mit dem Versuch gescheitert, die Berliner Corona-Verordnung insoweit vorläufig für rechtswidrig erklären zu lassen. Das VG wies einen Eilantrag des Anwalts zurück." Beschwerde gegen den Beschluss werde eingelegt.

 

Nachtrag vom 7.4.: "Fliesenmarkt ist kein Baumarkt - Fliesenmarkt muss geschlossen bleiben." Außerdem: "Verbot von Versammlung mit ca. 50 Personen - Mit Beschluss vom 3. April 2020 hat die ... 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein bestätigt, dass die Antragstellerin eine Ausnahmegenehmigung für die Durchführung einer in der Hansestadt Lübeck beabsichtigen Versammlung nicht beanspruchen kann." Siehe auch: "Eilantrag gegen Schließung eines Hunde-salons zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus nunmehr erfolgreich." Zur Religion: "Das Verbot von Gottesdiensten in der Coronakrise ist aus Sicht des Berliner Verwaltungsgerichts und des Hessischen Verwaltungsgerichtshof nicht zu beanstanden. Beide Gerichte wiesen am Dienstag Eilanträge von religiösen Vereinen und Gläubigen ab."

 

Nachtrag vom 8.4.: "Eilantrag gegen die Schließung von Einzelhandelsgeschäften in Nordrhein-Westfalen erfolglos-Ladengeschäft mit Haushaltswaren und Geschenkartikeln darf nicht öffnen." Außerdem"Eilantrag gegen Einschränkungen des Besuchsrechts in Pflegewohnheimen durch die Coronavirus-Verordnung Brandenburg erfolglos." Gesichtsmaske: "Die von der Stadt Jena erlassene Maskenpflicht ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Gera entschieden und einen Eilantrag gegen die Maskenpflicht abgewiesen." Marktstand: "Nach der Berliner 'Coronavirus-Eindämmungsmaßnahmenverordnung' dürfen nur bestimmte lebensnotwendige bzw. schwer verzichtbare Waren verkauft werden ... Der Antragsteller betreibt Markthandel, wobei sein Sortiment zu 70 % aus Keks-Ausstechformen, zu 25 % aus Spielwaren und zu 5 % aus Olivenölseife besteht. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin verfügte deshalb ihm gegenüber ein Verkaufsverbot." Das Verwaltungsgericht wies den Eilantrag des Markthändlers gegen das Verbot zurück. Hingegen: "Ein Händler aus Suhl hat sich vor dem Thüringer OVG erfolgreich gegen die Schließung seines Geschäfts gewehrt. Die Stadt dürfe den Begriff des Lebensmittelhandels nicht zu eng ausgelegen, so das Gericht."  Mindestabstand: "Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Eilantrag einer Privatperson abgelehnt, mit dem sich diese gegen das ... vom 22. März 2020 angeordnete Mindest­abstandsgebot gewandt hat." 

 

Nachtrag vom 10.4.: "VG Leipzig bestätigt Zutrittsverbot für werdenden Vater im Kreißsaal."  OVG Thüringen: "Eilantrag wegen Schließung eines Fitnessstudios erfolglos." VG Schleswig bestätigt Verbot des Verkaufs von Hähnchen aus mobilem Verkaufsstand. Berliner Gerichte: "Auch über Ostern wird es keine Ausnahmen für Gottesdienste geben. Das Infektionsrisiko sei trotz getroffener Maßnahmen zu hoch." "Bürger in der Bundeshauptstadt dürfen wegen des Coronavirus nur zum Anwalt, wenn sie einen 'dringend erforderlichen' Termin glaubhaft machen. Das ist in Ordnung, befand das OVG ... Nachdem das OVG schon seinen Normenkontrollantrag gegen die Corona-Beschränkung in der Hauptstadt als unzulässig verworfen hatte, ist ein Berliner Migrationsrechtler dort nun auch mit seinem Eilantrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung in zweiter Instanz gescheitert." "Gericht kippt Osterreiseverbot für Einwohner" in Meck-Pomm. Uwe Volkmann, Professor für Öffentliches Recht an der Frankfurter Goethe-Uni: "Es gibt berechtigte Zweifel, ob eine so allgemeine Bestimmung (Anm.: im Infektionsschutzgesetz) zur Rechtfertigung so tiefgreifender Eingriffe, wie wir sie derzeit erleben, ausreicht ... Es ist die massenhafte Beschränkung unserer Grundrechte auf einer unsicheren rechtlichen Grundlage. Und es ist die Befürchtung, dass diese Beschränkungen unser Zusammenleben vielleicht langfristiger prägen, als wir es uns jetzt vorstellen können ... Weder Leben noch Gesundheit ist allerdings in unserer Verfassungsordnung das höchste Gut. Dieses ist vielmehr die Menschenwürde. Diese begründet einerseits durchaus eine Solidaritätspflicht zu Gunsten der Schwächeren, sie zielt aber insgesamt auf eine Gesellschaft, deren Mitglieder sich als freie Bürger begegnen."  Bundesverfassungsgericht zur Ausgehbeschränkung, Ablehnung des Bundesverfassungsgerichts eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Regelungen einer infektionsschutzrechtlichen Rechtsverordnung des Freistaats Bayern und ebenfalls Ablehnung in Bezug auf die hessische Corona-Verordnung.

 

Nachtrag vom 17.4.: "Der 45-jährige Antragsteller bezieht Grundsicherungsleistungen (Hartz IV) und hat in einem gerichtlichen Eilverfahren verlangt, das Jobcenter zur vorläufigen Übernahme der Kosten eines Corona-Tests in Höhe von 200,00 EUR zu verpflichten ... Das Gericht hat diesen Antrag abgelehnt. Das Jobcenter sei nicht der zuständige Leistungsträger, sondern die gesetzliche Krankenversicherung, deren Versicherungsschutz ihm als Bezieher von Grundsicherungsleistungen zukomme. Im Übrigen habe der Antragsteller selbst mitgeteilt, dass er nach den Angaben des Gesundheitsamtes nicht zu einer Risikogruppe gehöre. Daher sei der Test für ihn nicht notwendig. Er habe keinen Anspruch darauf, besser gestellt zu werden als der Personenkreis gesetzlich Krankenversicherter."

 

Die Notiz von Nachträgen zum Thema wird an dieser Stelle eingestellt und stattdessen verwiesen auf: LexCorona: Wiki zu Rechtsakten (Gesetze, Verordnungen...) und Gerichtsentscheidungen. 


20.3.2020

Anwälte: Eilantrag in Karlsruhe

 

Zwei Strafrechtler wollen vom Bundesverfassungsgericht eine „grundsätzliche Aussage“ zur Aussetzung von Gerichtsprozessen in Corona-Zeiten herbeiführen. „Es geht um die Ansteckungsgefahr und die Übertragungsgefahr für jeden Prozessbeteiligten“, berichtet LTO. Bisher handhaben das die Gerichte unterschiedlich. Über den Eilantrag der Juristen werde „in allerkürzester Zeit“ entschieden. „Das Bundesjustizministerium arbeitet bereits an einer Regelung, die es Gerichten gestattet, laufende Strafprozesse länger als bisher erlaubt zu unterbrechen … Der Deutsche Anwaltverein warnt allerdings vor ‚hektischen Veränderungen in der Strafprozessordnung‘. Es müsse sichergestellt sein, dass eine solche Sonderregelung auf die aktuelle Situation begrenzt bleibe.“ Weitere relevante Meldungen: Vor ein paar Tagen hieß es noch: „Selbstverständlich steht es in der richterlichen Unabhängigkeit eines jeden Richters, einen jetzt angesetzten Gerichtstermin noch durchzuführen ... Ob die Justizverwaltung das dem Richter durch die Schließung des Gerichtsgebäudes faktisch untersagen kann, ist eine der offenen Rechtsfragen, die bisher nicht geklärt sind. Einen Stillstand der Rechtspflege im Sinn von § 245 Zivilprozessordnung haben wir zur Zeit sicherlich nicht...“ Der Deutsche Richterbund diskutiert bereits eine Gesetzesänderung. Ein Münchner Rechtsanwalt hat überdies einen Richter des Landgerichtes wegen versuchter Körperverletzung angezeigt, weil er trotz der aktuellen Corona-Pandemie auf einer Verhandlung bestand. Außerdem: In Berlin wird der Haftantritt für Menschen ausgesetzt, die wegen nicht gezahlter Geldstrafen hinter Gitter müssten. Es gelte ein Aufschub von vier Monaten. Verkehrssünder dürften profitieren: "Weil Verkehrsordnungs-widrigkeiten nach drei Monaten verjähren, könnten ... demnächst viele Verkehrsvergehen ungeahndet bleiben, weil die Prozesse nicht rechtzeitig terminiert werden." Und hier stehen die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts.


26.2.2020

BVerfG: Urteil zu Sterbehilfe

 

Nach geltender Rechtslage macht sich ein Arzt strafbar, wenn er Schwerkranken wiederholt tödliche Medikamente zur Verfügung stellt. Sterbehilfevereine, Ärzte und einige todkranke Patienten kämpfen dagegen an. Heute nun verkündet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des § 217 Strafgesetzbuch. „Die Norm bestraft die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung … es gehe nur um die Verfassungsmäßigkeit einer Strafnorm, nicht um die moralische Bewertung des Suizids“, klärt LTO auf. Aus Kapazitätsgründen hier nur weitere Verweise auf einen Bericht zur Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags vom Februar 2019 – der Disput basiert auf dem Antrag der FDP-Fraktion „Rechtssicherheit für schwer und unheilbar Erkrankte in einer extremen Notlage schaffen“ – sowie auf die Stellungnahmen des Kommissariats der deutschen Bischöfe (contra FDP-Antrag) und der Bundesärztekammer (contra FDP-Antrag). Für Pro-Argumente siehe zum Beispiel das arte-Interview mit einem Sterbehelfer. Zu den Begrifflichkeiten zum Thema informiert das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften.

 

Siehe gerne zum Thema auch den nachgehenden Beitrag vom 29.2.2020 auf dieser Seite.

 

Nachtrag vom 23.9.: Bundesregierung: Weiteres Vorgehen in Sachen Sterbehilfe.


19.2.2020

Stigmatisierendes Maßnahmenpaket

 

Heute beschließt laut LTO das Kabinett der Bundesregierung ein Maßnahmenpaket gegen Hasskriminalität im Netz. Schon wieder. Am 30. Oktober 2019 war das schon mal der Fall, wie aus diesem parlamentarischen Dokument hervorgeht. Ist wegen Änderungen am entsprechenden Gesetzentwurf ein erneuter Beschluss des Kabinetts notwendig? Wie dem auch sei: Mit rund 150.000 neuen Ermittlungsverfahren pro Jahr rechnet man. Für die – nicht nur in Niedersachsen – heillos überlastete Justiz müsste das eigentlich eine Hiobsbotschaft sein. Trotzdem kämpft zumindest die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) leidenschaftlich dafür.

 

„Der 56-seitige finale Entwurf, der LTO vorliegt, sieht unter anderem vor, dass Anbieter großer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter, Youtube, Instagram und TikTok strafbare Inhalte direkt an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Das BKA soll die Verfahren dann an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft weitergeben“, erfährt man von Legal Tribune Online weiter: „Damit Hetzer im Netz identifiziert und verfolgt werden können, sollen die Strafverfolgungsbehörden möglichst schnell an die dafür notwendigen Daten kommen. Der Gesetzentwurf räumt ihnen deshalb einerseits in der Strafprozessordnung die Befugnis ein, diese Daten anzufordern. Andererseits wird den Anbietern über das Telemediengesetz (TMG) erlaubt, die Daten – insbesondere IP-Adressen – an die Strafverfolger zu übermitteln.“ Die zuvor heftig kritisierte Passwortherausgabe soll künftig als eigener Paragraph 15b im TMG stehen und nur bei der Verfolgung besonders schwerer Straftaten sowie zur Abwehr einer konkreten Gefahr herangezogen werden. „In jedem Fall muss die Übermittlung durch einen Richter angeordnet werden.“ Konstantin Kuhle (FDP) befürchtet trotzdem, dass mit der Passwortherausgaberegel „erst der Anfang für weitreichende Eingriffsgrundlagen geschaffen werden“. Das Bundeskriminalamt werde von den Sozialen Netzwerken, insbesondere von Facebook, rund 250.000 Meldungen pro Jahr bekommen. „Beim BKA soll extra eine neue Zentralstelle eingerichtet werden.“ Und die Justiz wolle man personell aufstocken.

 

In Bayern ist bereits der erste Hate-Speech-Beauftragte des Landes installiert. „An allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften sind inzwischen Sonderdezernate für die Bekämpfung von Hass im Netz eingerichtet worden“, schreibt BR24. Der Beauftragte, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb, hat hohe Strafen angekündigt. Denn, so der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, im Internet habe „sich etwas zusammengebraut, das eine Gefahr für unsere Demokratie darstellt. Hass im Netz unterdrückt Meinungsfreiheit.“ Wie die Herren dazu kommen, sich für die Deutungshoheit über das nebulöse Phänomen „Hass“ legitimiert zu sehen, bleibt nach wie vor offen. Demokratisch ermittelt ist das jedenfalls nicht und diesbezügliche politische Aktionen werden erfahrungsgemäß zu etlichen unzutreffenden Stigmatisierungen führen; nicht nur, weil Küchentischpsychologen mit ihren Stempelkissen unterwegs sind. Der nicht weiter verfolgte Fall der Frauenrechtlerin Naila Chikhi als ein Beispiel von vielen, für das sich die Hate-Speech-Aktivisten offenbar gerade so intensiv interessieren wie wenn in China ein Sack Reis umfällt, demaskiert deren Tunnelblick. Die Gefahr ungerechtfertigter Stigmatisierungen im Rahmen des Maßnahmenpakets gegen Hasskriminalität trieb übrigens auch die FDP um. Aus ihrer Anfrage an die Bundesregierung: „Nach Ansicht der Fragesteller ist fraglich, wie diese Maßnahmen ausgestaltet werden sollen, inwiefern die vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen und ob die Maßnahmen einen angemessenen bürgerrechtlichen Schutz unschuldiger Bürger gewährleisten.“


5.2.2020

Richter verteidigen antisemitisches Relief

 

Wegen absurder Unterstellungen seitens gelangweilter Zeitgenossen sind bekanntlich schon so manche Kunstwerke entfernt, Straßen umbenannt und Bücher politkorrekt redigiert worden. Die „Wittenberger Judensau“ aber, die bleibt. LTO berichtet: „Das Oberlandesgericht Naumburg wies am Dienstag die Berufung eines Mannes gegen die evangelische Stadtkirchengemeinde zurück … Der heute 77-jährige Bonner Jude Michael Düllmann hatte gegen die Kirchengemeinde als Eigentümerin der Kirche auf Beseitigung der ‚Judensau‘-Skulptur geklagt. Er hatte argumentiert, die Schmähplastik sei eine Beleidigung von Menschen jüdischen Glaubens, diffamiere das Judentum und symbolisiere täglich den Antisemitismus in der Kirche und in der Gesellschaft.“    

 

Das antijüdische Relief entstand im 13. Jahrhundert und „ist bis heute ein Angriff auf Juden“, wie eine Petition, die schon vor einigen Jahren die Entfernung der „Wittenberger Judensau“ forderte, dazu weiter formuliert: „Sie muss entfernt und an einem anderen Ort in einem Rahmen ausgestellt werden, in dem der historische Bezug hergestellt werden kann, anstatt dass sie weiterhin öffentlich an der Außenwand einer Kirche sichtbar bleibt … Eine solche Entfernung ist nötig, da die Skulptur nicht nur Juden beleidigt, sondern schlicht eine öbszöne Darstellung wiedergibt. Juden, die an den Zitzen einer Sau nuckeln und ihre Hand in das Hinterteil dieser Sau stecken, sollten schlicht nicht an einem Gotteshaus abgebilget sein. Die derzeitige Situation steht in herbem Kontrast zu dem eigentlichen Zweck, den die Kirche innehaben sollte – Ort des Christlichen Lobpreises zu sein. Sie sollte ein Ort sein, der mit Würde und Schönheit und nicht mit Obszönität und schockierenden antisemitischen Bildnissen geschmückt ist.“

 

Die Naumburger Richter denken hingegen in diesem speziellen Fall lieber um die Ecke. Aus der Urteilsbegründung: Die Sandsteinplastik „sei isoliert betrachtet zwar eine Beleidigung ... Jedoch habe sie als Teil eines heutigen Mahnmals, dem auch eine Erklärtafel mit einordnenden Erläuterungen angehört, keinen beleidigenden Charakter mehr … Zwar habe das Relief ursprünglich unstreitig den Zweck verfolgt, die Juden verächtlich zu machen. Heute sei dies aber nicht mehr der Fall. Das Relief sei Teil eines Ensembles, das eine andere Zielrichtung der Kirchengemeinde erkennen lasse … Eine Kommentierung des historischen Kontextes könne die ursprünglich beleidigende Wirkung neutralisieren. Dies sei bei der Wittenberger Schmähplastik der Fall.“ Die Formulierung kann man sich mal merken und auf vergangene wie künftige Empörungszeremonien anwenden. Das oberlandesgerichtliche Urteil ist in Zeiten strafrechtlicher Verfolgung jeglicher Hatespeech, sogar unter Hinzuziehung des Verfassungsschutzes, höchst irritierend. Man darf gespannt sein, wie das Ausland dies kommentiert. Der Fall hat das Potenzial, die Schönwetter-Fassade der Deutungselite mitsamt ihrer konstruierten Gut-Böse-Schemata wie ein Kartenhaus zusammenfallen zu lassen. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof ist im Übrigen zugelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

 

Die MZ ergänzt: "Antijüdische Plastiken gibt es ... auch an anderen Kirchen", z.B. Kölner Dom.

 

Nachtrag: Das Urteil spaltet das linke Lager. Die unbelehrbare Süddeutsche Zeitung instrumentalisiert es für geschichtsklitternde Diffamierung von Christen: "Skulpturen wie diese müssen erhalten bleiben - um Christen immer wieder zu verstören ... Jede einzelne Skulptur ist ein steinharter Beleg dafür, dass die jahrhundertelange christliche Judenfeindschaft den Boden bereiten half für den rassistischen Antisemitismus, der zum Judenmord der Nationalsozialisten führte." Tatsächlich war der Judenhass keine homogene Einstellung insbesondere bei Katholiken, wie die Karl-Leisner-Jugend aufklärt: "...Auf der anderen Seite hielt die Kirche an ihrer Verurteilung der nationalsozialistischen Ideologie fest. Im Gegensatz zur Evangelischen Kirche drang auch kein Nationalsozialistisches Gedankengut in den Innenraum der Kirche. Durch den gleichzeitigen Erhalt ihrer Institution wurde die Kirche so zum einzigen nichtgleichgeschalteten Ort im Dritten Reich, welcher der totalitären Herrschaft der Nationalsozialisten Grenzen setzte. In ihrer ideologischen und organisatorischen Selbsterhaltung gegen eine den ganzen Menschen fordernde Staatsmacht liegt ihr Widerstand gegen den Nationalsozialismus." Die Zeit meint hingegen zum Urteil: "So macht man Antisemitismus salonfähig ... ein glattes Fehlurteil ... Das Urteil ist ein Skandal. Wenn solch ein Machwerk, das in analen und fäkalen Fantasien schwelgt, keine Beleidigung sein soll – was dann? Haben die Richter das Relief überhaupt gesehen? ... Die Begründung des Gerichts ist naiv ... Darf der Staat dulden, dass die jüdische Religion herabgewürdigt wird – vor dem Hintergrund des Holocaust und eines zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft? Antisemitische Straftaten nehmen zu, Juden werden in der Gesellschaft wieder bedroht und angegriffen – das ist der aktuelle Kontext, in dem das Urteil gesprochen wird. Deshalb ist das Signal, das dieses Urteil sendet, so fatal."   

 

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn meint: "Was geschehen ist, ist geschehen, und es kann nicht ungeschehen gemacht werden. Insofern wäre es völlig unaufrichtig, diese 'Judensau' zu beseitigen ... Ein gesellschaftliches Problem ist hier ganz klar erkennbar: Dass Richter letztlich über geschichtliche Entwicklungen und Motive zu entscheiden haben. Ich halte das für völlig deplatziert ... Es gibt hier keine Einheitsmeinung, Gott sei Dank ... die Argumentationslinie vom 13. Jahrhundert, also von der 'Judensau' nach Auschwitz, ist deutlich zu vereinfacht ... Die Geschichte des Christentums ist eine Geschichte des Antijudaismus, spätestens seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. In klaren Ansätzen bereits im Johannesevangelium. Also: Daran kommen wir nicht vorbei. Die Geschichte des Antisemitismus ist 3.000 Jahre alt. Sie betrifft nicht nur das Christentum." 

 

Neuigkeit zur Petition: "Nächster Stopp Bundesgerichtshof" mit Spendemöglichkeit.

 

Nachtrag vom 20.6.: "Juden und Protestanten eint derzeit der Groll gegen die obersten Denkmalschützer des Landes. Die aber sehen sich im Streit um die Wiederanbringung einer „Judensau“-Figur ... zu Unrecht gescholten. 'Wir haben lediglich das Aufhängen der umstrittenen Plastik empfohlen, von unverhülltem Aufhängen war dabei nie die Rede' ... Entscheiden müsse aber der Landkreis als untere Denkmalschutzbehörde."