"Als dritter Sektor in der Gesellschaft werden häufig die sozialen Organisationen neben dem Staat (= erster Sektor) und der freier Wirtschaft (= zweiter Sektor) bezeichnet. Die Aufgaben, die der sog. Dritte Sektor übernimmt wachsen, da der Staat immer mehr Verantwortung abgibt ... De facto ist der Dritte Sektor nicht mehr so einfach abzugrenzen, wie dies früher einmal war."


4.12.2020

Neue chinesische Normalität?

 

Politischerseits gibt man sich häufig noch kritisch gegenüber der „Volksrepublik“ China. Zumindest was den Ursprung des Coronavirus oder etwa die Handelspolitik angeht, im Zuge derer Peking „eine neue Weltordnung“ diktiere und „ohne Rücksicht sein Rechtsverständnis“ exportiere, resümiert die Welt weiter: „Entweder Deutschland und in seinem Schlepptau die Europäische Union akzeptieren eine amerikanische oder eine chinesische Welt(wirtschafts)ordnung. Entweder wählen die Europäer die USA als strategischen Verbündeten und machen sich damit China zum Erzfeind. Oder sie entscheiden sich für die Volksrepublik und verzichten auf transatlantische Bündnisse und damit wohl auch auf den militärischen Schutzschild der USA für Europa.“ Ein dritter, alternativer Weg sei unbedingt vonnöten. Da sich die Politikspitzen hierzulande erfahrungsgemäß erstaunlich häufig an der Stoßrichtung des Dritten Sektors orientieren, sei an dieser Stelle ein Blick dorthin geworfen.

 

Anfang 2020, als gerade die Berichterstattung über Corona begann, wurde in Berlin „das Bildungsnetzwerk China durch die Stiftung Mercator und das Goethe-Institut offiziell gegründet“. Es arbeitet eng mit der Kultusministerkonferenz, insbesondere dem Pädagogischen Austauschdienst des dortigen Sekretariats, zusammen. Kooperation besteht auch mit dem Talentförderzentrum des Bundes und der Länder „Bildung & Begabung“. „Die Ziele des Netzwerks werden darüber hinaus durch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Forschung ausdrücklich begrüßt und unterstützt.“ Als Ziel nennt der Geschäftsführer der Stiftung Mercator: die „Chinakompetenzen in Deutschland zu stärken“. Die Förderung des Schulaustauschs will er über einen Ausbau des Mercator-Schulpartnerschaftsfonds erreichen. Über einen Newsletter aus diesem Umfeld heraus heißt es gerade: „Wir freuen uns, dass wir im kommenden Jahr zusätzlich zu der vom Auswärtigen Amt geförderten Schülerakademie China im Sommer 2021 eine weitere Schülerakademie zur Ausbildung der China-Kompetenz von Schüler*innen der Sekundarstufe I … im Herbst 2021 anbieten können.“ Man suche dafür noch engagierte Kursleitende. 

 

Bis dato wirkt hier nichts wirklich skandalträchtig – Schüleraustausch auch mit Ländern aus gänzlich anderen Kulturen ist in einer weltoffenen Gesellschaft grundlegend förderungswürdig. Die Sache ist allerdings auch beobachtungswürdig. Denn ebenfalls im Januar 2020 verschickte der „Fachverband Chinesisch“ ein Rundschreiben mit dem Hinweis: „Im August 2019 fand zum ersten Mal in Kooperation mit dem Akademischen Konfuzius-Institut Göttingen ein dreitägiges Chinesischlehrer*innenforum statt, das wir wegen der großen Nachfrage gerne in absehbarer Zeit wiederholen möchten.“ Wenige Wochen zuvor warnte die FDP vor chinesischem Einfluss an Unis durch Konfuzius-Institute: „China betreibt in Deutschland 19 Konfuzius-Institute, die vor allem an Hochschulen angesiedelt sind. Die FDP sieht darin ‚eiskalte Propaganda eines autoritären Regimes‘.“ Diese Institute seien letztlich vom chinesischen Erziehungsministerium gesteuert, das „der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt ist“. Die Bundesregierung wisse um diesen Einfluss, prangert die FDP die „Naivität“ deutscher und europäischer Politik an. „Deutsche Hochschulen, Länder und Kommunen sollten den Konfuzius-Instituten endlich den Geldhahn zudrehen und bestehende Kooperationen beenden.“ Über den Fokus der Konfuzius-Institute weiß die Bundesregierung im Übrigen Bescheid: Der soll auf dem „Aufbau der sozialistischen Kultur“ liegen. Das gefällt wohl nicht nur der Bundeskanzlerin.

 

Das eher im Hintergrund agierende, aber im Dritten Sektor einflussreiche Grassroots-Thinktank „Polis180“ will die etablierte Außen- und Europapolitik aufbrechen sowie „maßgeblich beeinflussen“. „connectingAsia“ heißt das „neugegründete und langersehnte Programm bei Polis180“ (man achte auf die links gesetzte Bildauswahl auf der Seite). Für Januar 2021 steht etwa dies auf dem Programm: „Central Bank Digital Currencies: The State of Play in China and Asia-Pacific“. Dazu wird erläutert: „Online Tea time mit Kai von Carnap (Merics) und Jonas Gross (Frankfurt School of Finance) - So könnte schon bald unser Fazit lauten, denn diverse asiatisch-pazifische Zentralbanken sind drauf und dran digitales Zentralbankgeld zu entwickeln. Zukunftsmusik? Mitnichten! Die Volksrepublik China hat bereits in zahlreichen Großstädten erste erfolgreiche Testphasen des Digitalen Renminbi abgeschlossen! Was hat es mit diesen so genannten Central Bank Digital Currencies (CBDC) überhaupt auf sich? Wer profitiert davon? Und warum haben es alle plötzlich so eilig?“ Das mag schon interessant sein zu wissen. Gut zu wissen ist ebenfalls: Der Referent Kai von Carnap arbeitet für das „Mercator Institute for China Studies“, verfüge „über besondere Kenntnisse im Bereich Kryptowährung und Blockchain-Technologie“ und ist medial gut vernetzt, wie etwa dieser Artikel zum bargeldlosen Bezahlen beweist. Die Robert Bosch Stiftung bewirbt übrigens gerade ihr „EU-China NGO Twinning Programm“: Der Austausch zwischen NGOs in Europa und China befinde sich noch in den Anfängen, die Stiftung werde ihn deshalb fördern. Partnerorganisationen zu finden wird ganz sicher kein Problem sein. Laut eines Diskussionspapiers des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung aus dem Jahr 2004 mit dem Titel „NGOs in China - Die Entwicklung des Dritten Sektors“ kann man in China mit gut zwei Millionen NGOs rechnen. Der allgemeine Trend scheint klar gen Osten zu driften: mit allem, was dazu gehört.

 

Es folgen hier noch vorangegangene Notizen zur neuen Begeisterung für China:

Was man jetzt offen sagt: "Chinas Vorteil in der Pandemie-Bekämpfung - 'Sie können die Menschen einfach zwingen' - Man könnte sagen, dass die Krise der Regierung die Augen dafür geöffnet hat, was man machen kann und wie schnell das möglich ist ... wir haben unsere Maßnahmen immer mehr den chinesischen angeglichen ... Solche vermeintlich lächerlichen Dinge wie Persönlichkeitsrechte sind da zweitrangig ... Die Krise wird in der Geschichts-schreibung der Partei aber dennoch als großer Beweis der Systemüberlegenheit eingehen."

 

Nachtrag: "Politiker und Unternehmer sprechen von Niederlage gegen China im 'Wettstreit der Systeme' beim Kampf gegen die Covid-19-Pandemie."

 

Nachtrag vom 24.10.: "Wo sehen Sie eine totalitäre Tendenz? Zum Beispiel darin, dass China seine Strategie gegen Corona als Erfolg wertet. Es ist also damit zu rechnen, dass das Regime die angewandten Methoden verfeinert, ausweitet und auch in andere Länder überträgt."

 

Nachtrag vom 30.11.: "In China hat man die Pandemie gut im Griff. Kaum Neuinfektionen, nur noch wenige Beschränkungen. Wenn jedoch neue Fälle auftreten, wird ohne Rücksicht auf die Rechte der Menschen reagiert." Siehe auch: "Immer mehr chinesische Botschaften schließen sich dem System an, demzufolge für eine Einreise nach China ein Zertifikat vorgelegt werden muss, das wiederum auf zwei Testergebnissen basiert. Experten sind sich sicher, dass dies auch ein Modell ist, mit dem der globale Reiseverkehr wieder ermöglicht werden könnte."

 

Nachtrag vom 28.1.2021: "No Covid: Müssen wir jetzt den chinesischen Weg einschlagen? ... Was hat das autoritäre Reich der Mitte besser gemacht, was könnten wir uns noch abschauen?"

 

Nachtrag vom 3.3.2021: Die FDP fordert wiederholt: "Kooperationen mit Konfuzius−Instituten an Unis stoppen." Außerdem: "So viel China steckt in Deutschlands Corona-Politik."


Loccum bietet eine virtuelle Gesprächsreihe zur deutschen Außenpolitik an. Anmeldung: hier.


23.10.2020

„Konzeptuell zynisch“

 

Alle Wege führen neuerdings zur Biotechnologie. Die technischen Möglichkeiten sind natürlich nicht pauschal zu verteufeln. Sie werden auch menschliches Leid minimieren und bis dato nicht händelbare Krankheiten heilen können. Nur: dieser Fortschritt liegt im Ermessen weniger Entwickler, die ohne demokratische Legitimation das weltgesellschaftliche Gefüge ins Wanken bringen. Und die Allgemeinbevölkerung bleibt weit überwiegend uninformiert. Wenigstens sollen hier bezeichnende Verflechtungen transparenter gemacht werden.

 

An dieser Stelle geplant war zuerst nur ein Bericht über Computerspiele, die das Thema „Epidemie“ zum Inhalt haben. Deutschlandfunk Kultur etwa berichtete im April 2016: „Das Spiel ‚Plague Inc.‘ fängt harmlos an: Irgendwo auf der Weltkarte, in Südafrika, beginnt das Leben jenes Krankheitserregers, der bald den ganzen Planeten befallen, Millionen töten und die Menschheit in Angst und Schrecken versetzen wird. Die Spielerinnen und Spieler sind aber nicht mit der Bekämpfung dieser Seuche beschäftigt. Im Gegenteil: Sie lenken die Ausbreitung, Mutation und Entwicklung dieser heimtückischen Krankheit. Das Ziel: Pandemie – die Mensch-heit auszulöschen, bevor sie ein Gegenmittel findet.“ Die Vielzahl neuer Symptome durch gezielte Mutationen produzierten weitere Übertragungsoptionen. Obwohl „konzeptuell zynisch“, würdigte das US-amerikanische CDC (Centers for Disease Control and Prevention), die für Infektionskrankheiten zuständige Behörde, das populäre Spiel. Es sei noch besser als öffentliche Kampagnen, um ein Bewusstsein für Epidemiologie zu schaffen. Bei einem weiteren Spiel – „Vax!“ – ist die Aufgabe des Spielers, die Ausbreitung einer Epidemie zu verhindern. „Das Spiel soll aufzeigen, warum Impfen wichtig ist, wie die so genannte Herdenimmunität funktioniert und wie sich Epidemien ausbreiten.“ Der Weg zur Biotechnologie führt letztlich über diesen Satz am Schluss des Berichts: „Das Spiel steht unter einer Creative Commons Lizenz. Der Code befindet sich bei GitHub.“ Nachrecherchiert, ob GitHub was mit Corona zu tun hat, findet man beim Linux Magazin: „Der Programmcode der vom Bund geplanten Corona-Warn-App ist nun komplett auf Github zu finden.“ Auch Google ist dort aktiv: „Noch viel mehr Daten sammelt Google nun in dem sogenannten ‚Covid-19 Open Data repository‘ auf Github.“

 

Bei den „digital pioneers“ ist dieser netzbasierte Dienst so erklärt: „Als internet-affiner Mensch ist es kaum mehr möglich, Software runterzuladen, ohne dabei früher oder später einmal über GitHub zu stolpern.“ Git ist der Name einer Software zur Versionsverwaltung, die Änderungen an einem Software-Projekt verwaltet. „Im zweiten Teil des Namens – Hub – steckt dann noch der Hinweis auf die Web-Fähigkeiten von GitHub“, um den Funktionsumfang von Git anzureichern, etwa in Form grafischer Darstellungen im Browser. Das 2007 gestartete Unternehmen sitzt in San Francisco. Zur Historie: „Im Juli 2012 erhielt GitHub eine Investition von 100 Millionen US-Dollar vom Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz. Im Juli 2015 erhielt GitHub im Rahmen einer weiteren Finanzierungsrunde 250 Millionen US-Dollar von Sequoia Capital, Andreessen Horowitz, Thrive Capital und anderen Venture-Capital-Fonds. Anfang Juni 2018 gab Microsoft bekannt, es werde GitHub für 7,5 Milliarden Dollar kaufen … Der Kauf wurde am 19. Oktober 2018 von der EU-Kommission ohne Auflagen genehmigt und Ende Dezember 2018 abgeschlossen. Microsoft zufolge solle GitHub eine unabhängige Plattform bleiben … Im November 2019 kündigte GitHub an, alle öffentlichen, auf der Plattform vorhandenen Code-Repositorys in einer ehemaligen Kohlemine auf Spitzbergen zu archivieren. Dafür wurden etwa 21 TByte Daten mit mehr als 100 Millionen Repositorys auf 186 Mikrofilmrollen gespeichert. Diese wurden am 8. Juli 2020 in einer ehemaligen, in der Permafrostzone liegenden Mine eingelagert. Das Archiv wird als Arctic Code Vault bezeichnet“; mehr dazu hier. GitHub gilt inzwischen als weltweit größte Plattform für die Entwicklung von Open-Source-Software.

 

Wir sehen uns hier nur mal kurz bei der Geldgeberin Andreessen Horowitz um. Die private amerikanische Risikokapitalgesellschaft agiert unter dem Motto „Software Is Eating the World“ und beschäftigt sich leidenschaftlich mit allerlei Zukunftstechnologien. Zum Beispiel mit Design-Biologie, die lebende Systeme entwirft: „Wir stehen am Beginn einer neuen Ära, in der wir wirklich in der Lage sind, Biologie zu entwerfen: von gentechnisch veränderter Baumwolle über Fleisch aus Pflanzen bis hin zu unglaublich komplexen neuen Therapien, die aus veränderten Zellen und Genen bestehen. Und das ist erst der Anfang. Eines Tages wird so gut wie alles gentechnisch verändert sein, von unseren Medikamenten über unsere Materialien bis hin zur Herstellung und vieles mehr. Die Frage ist nicht mehr, ob wir die Biologie gestalten können. Die Frage ist jetzt vielmehr, was können wir mit diesen Werkzeugen bauen?“ Oder mit der gentechnisch veränderten Zukunft: „Mit einem ganz neuen Werkzeugkasten, der uns zur Verfügung steht und jeden Tag wächst, fängt unsere Fähigkeit, komplexe genetische Funktionen zu entwerfen, gerade erst an.“ Professionell eingesetzt könne man damit Zellschaltkreise programmieren, Proteine designen und „sogar zur Fehlersuche in der Biologie einsetzen“. Und was als Fehler in der Biologie gewertet wird bestimmt dann: wer?

 

In einem aktuellen Beitrag präsentiert Horowitz unter der Überschrift „Super-Scaling Covid-19-Tests mit DNA-Sequenzierung“ eine Lösung zur Erfassung auch asymptomatischer Menschen im Rahmen breitflächiger Tests. „Hier kommt SwabSeq ins Spiel. SwabSeq ist eine quelloffene Covid-19-Diagnostikplattform, die die Möglichkeiten der Genomik nutzt, um den Umfang der Tests enorm zu erweitern … Das ursprüngliche Konzept und Design dieses auf der Sequenzierung basierenden Ansatzes wurde bei Octant entwickelt (einem Start-up-Unternehmen im Bereich der Arzneimittelentdeckung, das von Kosuri, der auch Professor an der UCLA ist, mitbegründet wurde).“ SwabSeq ist inzwischen zu einer validierten diagnostischen Plattform ausgebaut und erhielt kürzlich eine Notfallgenehmigung von der „Food and Drug Administration“. Wie ein Logo wird die Genom-Sequenz-Technologie SwabSeq, in deren Entwicklung auch das „Department of Human Genetics“ und das „Department of Computational Medicine“ eingebunden waren, inzwischen eingesetzt, wie man unten auf dieser Seite sieht.

 

Der Spiegel schrieb übrigens zu Andreessen Horowitz im April 2014: „Im Herzen des Silicon Valley“ liegt  „ein Nukleus der neuen digitalen Welt, die Zentrale von Andreessen Horowitz. Marc Andreessen und Ben Horowitz sind die Geldgurus der Digitalisierung, so einflussreich und mächtig wie wenige andere in der Welt von Google, Facebook und Twitter, sie verteilen Milliarden Dollar, finanzieren die Technologie von morgen, und ihre Absichten machen sie jedem klar, der die Lobby ihrer Firma betritt“, nämlich: „die alte Wirtschaft mit ihren analogen Industrien in die Luft zu sprengen.“ Viele „Silicon-Valley-Phänomene“ habe die Kapitalgesell-schaft mitfinanziert und zum Erfolg verholfen, darunter Facebook, Twitter, Airbnb und Skype.

 

Das oben erwähnte Epidemie-Spiel „Plague Inc.“ hat die chinesische Regierung interessanterweise im Februar dieses Jahres, als Corona in Umlauf kam, wegen „illegaler“ Inhalte verbieten lassen. Der Entwickler des Spiels, James Vaughan, arbeite nun auch an einem neuen Spielmodus – „in Zusammenarbeit mit Experten der WHO und dem US-amerikanischen CDC“, wird dort berichtet. Die netzwerkenden Kreise schließen sich letztlich immer.   

 

Hinweis: Die englischsprachigen Texte sind mit Unterstützung von deepl.com übersetzt. Und zur inhaltlichen Ergänzung siehe auch den Beitrag „Der ‚Neue Mensch‘ mal wieder“ vom 5.9.2020. 

Mehr Beispiele aus der Welt der Spiele und digitalen Tools rund um das Thema Pandemien: hier.

 

Nachtrag vom 24.10.: Interview mit Yuval Noah Harari: "Der israelische Historiker und Bestsellerautor hält es für denkbar, dass sich die Menschheit angesichts des dramatischen technologischen Fortschritts aufspaltet: in wenige Privilegierte, die alle Reichtümer und Vorteile neuer Technologien nutzen können, und in eine riesige "nutzlose Kaste" von Menschen, die irgendwann aus dem Lauf der Geschichte verschwindet ... Historisch betrachtet ist diese Pandemie nicht so gefährlich wie die Seuchen der Vergangenheit ... Die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie könnten allerdings enorm sein: Im schlimmsten Fall kollabiert unsere Weltordnung. Oder sie wird zumindest weiter destabilisiert ... angesichts der Corona-Epidemie könnten auch die liberalen Demokratien ihre Abneigung gegen die Überwachung ihrer Bürger ablegen ... Die totalitäre Versuchung ist in Zeiten von Corona groß ... Die entscheidende Frage ist, wie mit dieser Verantwortung umgegangen wird ... Wir sind heute in der Lage, die perfekte Diktatur zu errichten. Es wäre ein autoritäres Regime, wie es dieser Planet noch nicht gesehen hat. Eine Diktatur, die schlimmer wäre als Nazideutschland oder die Sowjetunion unter Josef Stalin, ist heute denkbar. Im 20. Jahrhundert war jedes totalitäre Regime noch durch eine grundlegende technologische Grenze eingeschränkt ... Corona hat durchaus das Potenzial, die Welt besser zu machen – wenn wir uns aktiv dafür entscheiden."


8.8.2020

Filterblasen sind jetzt die Lösung

 

Via Newsletter kam eine bemerkenswerte Info zu einem Projekt, das an der Bevölkerung völlig vorbeigeht: „Wir führen eine groß angelegte Datenerhebung mit mehr als 600 Wissenschaftlern weltweit durch, um die Reaktionen der Regierung auf die Covid-19-Pandemie umfassend zu verstehen. Dies ist ein gemeinsames Projekt der Technischen Universität München und der New York University - Abu Dhabi. Wir verfügen bereits über eine große Datenbank mit über 20.000 Politiken.“ Man will mit dieser ungewöhnlich aufwändigen Datenerhebung unter anderem  entscheidungsrelevanten Politikern entsprechendes Material an die Hand geben. Wer in der „CoronaNet Research Group“ alles dabei ist, kann auf dieser Seite eingesehen werden. Mit an vorderster Front ist die Online-Fachzeitschrift „Nature Human Behaviour“. Diese geht davon aus: „Menschliches Verhalten war entscheidend für die Gestaltung der Covid-19-Pandemie; die Handlungen von Einzelpersonen, Gruppen, Nationalstaaten und internationalen Gremien spielen alle eine Rolle bei der Eindämmung ihrer Ausbreitung.“ Es soll nun aufgezeigt werden, „wie die Forschung über individuelles und kollektives Verhalten zu einer wirksamen Reaktion beitragen kann“. Außerdem sei es jetzt möglich die Welt, in der wir leben, umzugestalten.

 

Einige Arbeitspapiere deuten an, dass die Einhaltung der Schutzregeln in der „post-lockdown world“ weiterhin Gültigkeit haben soll. In diesem Abstract heißt es darüber hinaus: „Im Rahmen eines sozialen Netzwerkansatzes evaluieren wir die Wirksamkeit von drei Distanzierungsstrate-gien, die darauf abzielen, die Kurve flach zu halten und die Einhaltung der Regeln in einer Welt nach dem Lockdown zu unterstützen. Diese sind: Beschränkung der Interaktion auf einige wenige wiederholte Kontakte, was der Bildung sozialer Blasen ähnelt; Suche nach Ähnlichkeit zwischen den Kontakten; und Stärkung der Gemeinschaften durch triadische Strategien.“ Die – natürlich immer nur bei den Anderen – stets gescholtenen Filterblasen nun als heilsbringende Errungenschaft? Pluralität und Disput, Grundpfeiler demokratischer Reife, als Auslaufmodell? Mancherorts jauchzt man schon ob der Ausmerzung von Unterschieden: „Eine der unerwarteten Auswirkungen der Quarantäne ist, dass sie uns gleichmacht. Es spielt keine Rolle, wo Sie sind, welche Arbeit Sie ausüben, wie alt Sie sind oder wie viel Geld Sie auf der Bank haben.“ 

 

Der wissenschaftliche Abstract zielt allerdings auf die Homophilie im Rahmen der Netzwerkforschung und argumentiert so: „Anstelle einer pauschalen Selbstisolierungspolitik ist die Betonung ähnlicher, gemeinschaftsbasierter und sich wiederholender Kontakte leicht zu verstehen und umzusetzen, wodurch distanzierende Maßnahmen über längere Zeiträume hinweg schmackhafter werden.“ (!) Die Autoren stellen klar, dass diese Analysen nicht „irgendeine Form der Rassen- oder sozialen Gruppentrennung oder ähnlich vulgäre Ideen“ rechtfertigen sollen. Eine Segregation in solch große Gruppen sei nicht wirksam, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die „strategische Kontaktreduzierung“ beruhe auf der Beschränkung auf viele kleine Netzwerkregionen. Bei der Anwendung der Vorschläge in der realen Welt steht aber offenbar die Natur des Menschen im Wege: „Wenn eine feste Sperre nicht mehr vorgeschrieben oder empfohlen wird, werden Einzelpersonen in verschiedenen sozialen Kreisen (z.B. am Arbeitsplatz oder in der Familie) interagieren wollen oder müssen. In einigen dieser Milieus ist es möglicherweise nicht möglich, Ähnlichkeit anzustreben (z.B. in Schulen, in denen Lehrer und Schüler unterschiedlichen Alters zusammenkommen).“ Man müsse halt deswegen noch mehr Forschung betreiben, um herauszufinden, „welche Arten von öffentlichen Räumen geöffnet werden und welche Arten der Interaktion dementsprechend erlaubt sind“. Das solle ein Hauptanliegen der Politikgestaltung sein. Sodann werden politische Leitlinien abgeleitet:

 

„Unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen würden unsere Simulationen, die den Effekt zunehmender geographischer Nähe und den theoretischen Reiz des Strebens nach Ähnlichkeit auf den Wohnstandort untersuchen, die geographische Ähnlichkeit zur bevorzugten Dimension machen, wenn es darum geht, politischen Entscheidungsträgern Orientierungshilfen zu geben.“ Ganz konkret zum Beispiel: „Für Beschäftigte in Krankenhäusern oder in lebenswichtigen Bereichen kann das Risiko minimiert werden, indem Schichten mit einer ähnlichen Zusammensetzung der Mitarbeiter eingeführt werden (d.h. Wiederholung des Kontakts und Schaffung von Blasen) und die Menschen nach Möglichkeit auf der Grundlage z.B. der Wohnnähe in Schichten verteilt werden (d.h. Suche nach Ähnlichkeit). An Arbeitsplätzen und in Schulen werden gestaffelte Schichten und Unterrichtsstunden mit unterschiedlichen Start-, End- und Pausenzeiten durch getrennte Organisationseinheiten und Klassenräume den Kontakt in kleinen Gruppen aufrechterhalten und den Kontakt zwischen ihnen verringern.“ Denn schließlich sei klar, dass etwa „in einem fünfköpfigen Haushalt, in dem jede Person mit unterschiedlichen Gruppen von Freunden zusammenlebt“, ein sehr hohes Risiko der Verbreitung der Krankheit herrscht. Eindimensionale Zeiten in homogenen Mini-Kollektiven stehen bevor.

 

Das alles sind ja nur Überlegungen und Diskussionen; was den Gedanken an ein Menschenexperiment nicht wirklich vertreibt, nicht zuletzt angesichts des massiven Aufgebots an Wissenschaftlern. Man siehe ergänzend gerne den Beitrag „Auf dem Weg zum Termitenstaat“.

 

Anm.: Überwiegend sind die zitierten Textpassagen mit www.deepl.com/translator übersetzt. 

 

Zum Fortgang der Corona-Regulierungen: siehe Corona-Doku.


15.6.2020

Corona mündet in Studiengang

 

In akademischen Netzwerken wird der englischsprachige Master-Studiengang „International Organisations and Crisis Management“ beworben. Er startet im Wintersemester 2020/21. „Das passende Studium zur Corona-Krise“, meint die FAZ dazu.  Konzipiert haben ihn Rafael Biermann, der in den 1990ern im Referat Politische Analysen des Bundeskanzleramts und im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums arbeitete, sowie Christian Kreuder-Sonnen, seit Oktober 2019 Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt internationale Organisationen. Ziel der Lehrveranstaltung sei es, „Experten mit breitem Krisenwissen für internationale Organisationen, nationale Verwaltungen, für Medien, Industrie und Wissenschaft ausbilden“. Es würde die Arbeit von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, etwa das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation, untersucht. „Wir bedenken die Möglichkeiten und Grenzen internationalen Krisenhandelns ebenso wie die Versuchungen zum nationalen Alleingang und die Notwendigkeiten internationaler Koordina-tion“, so Kreuder-Sonnen. „Bedacht würden zudem die Legitimitätskrisen, in die Organisationen selbst gerieten, wenn sie einer Krise nicht gerecht würden und reformiert werden müssten.“

 

Kreuder-Sonnen veröffentlichte übrigens 2013 zusammen mit einer Kollegin den höchst WHO-kritischen Aufsatz „Souverän durch die Krise: Überforderte Staaten und die (Selbst-) Ermächtigung der WHO“. Manche Stellen lesen sich, als seien sie brandaktuell. Auf dieser Seite nur was aus der Schlussbetrachtung: „Am Fall der Schweinegrippe zeigt sich, welche Eigendynamik die Institutionalisierung der Ausnahme entfalten kann.“ Die „praktisch institutionalisierten Ausnahmebefugnisse der WHO“ hätten „den Grundstein für die notstandsartige Reaktion auf die Schweinegrippe 2009“ gelegt. „Die securitization von Infektionskrankheiten und insbesondere SARS hat damit institutionelle Nebenfolgen verursacht, die ihrerseits wieder zu vermehrter Versicherheitlichung und Notstandspolitik geführt haben – und zu einer weiteren Selbstermächtigung der WHO mithilfe einer eigenmächtigen Ausweitung der Pandemie-Definition erst während der ausgerufenen Krise.“ Das Vorgehen des WHO-Sekretariats sei außerdem intransparent gewesen, die WHO habe sich öffentlicher und staatlicher Kontrolle entzogen. Es kam auch nicht dazu, dass „Hinweise auf Einflussnahmen seitens der Pharmaindustrie, sowohl auf die vorab erstellten Pandemie-Pläne als auch auf das Emergency Committee“, von einer unabhängigen Institution untersucht wurde.  

 

Auch wenn „bestimmte Bedrohungen die Suspendierung oder Aufweichung der Verfassungs-normalität zugunsten politischen Spielraums in einer Notsituation rechtfertigen“, könnten aber „rechtliche und institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, um die Entscheidungssouveräni-tät der Exekutive insofern zu begrenzen als dass eine Rückkehr zum Normalzustand erzwungen und das Ausmaß der Ermächtigung von vornherein beschränkt“ wird, so noch zu diesem Punkt der Analyse. „Im konkreten Fall der Notstandskompetenzen der WHO würde das etwa bedeuten, zunächst ein Grundkriterium konstitutioneller Einhegung zu erfüllen, nämlich die Entschei-dungsgewalt über das Vorliegen eines Notstands institutionell von der Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen zu entkoppeln (Gross 2011). Zudem wäre zu prüfen, wie einmal übertragene Ausnahmebefugnisse effektiv kontrolliert und letztlich auch wieder entzogen werden können.“ Später etwa habe das EU-Parlament „im Fall der Schweinegrippe die WHO zur Rechenschaft gezogen und so ein Mindestmaß öffentlicher Aufarbeitung erreicht“. Aus dem Text ließe sich derzeit politisch einiges machen. Aber damals ist ja auch nicht wirklich was passiert.


9.6.2020

Post-pandemische Neuordnung 

 

Aus dieser Einladung für ein Online-Symposium am 10. Juni zum Thema „Coronomics: Life and Leadership Beyond the Pandemic“ könnte man leicht schließen, dass sich der infrastrukturellen Neuorganisation in der Post-Pandemie erneut der Dritte Sektor bemächtigt – in Form von inoffiziell outgesourcter Politik; nach Legitimität respektive Legalität fragt ja kaum jemand . Organisatoren des Events kommen von „Cambrian Futures“; ein akademisches Think-Tank, das sich beim „Aufbau einer technologiegestützten Widerstandsfähigkeit“ in einer „VUCA-Welt“, in der „Erfahrungen, Glaubenssätze und Paradigmen auf den Prüfstand kommen“, engagiert. Die Akademiker wollen auch blinde Flecken an den Schnittpunkten von Technik und Gesellschaft identifizieren und kognitive Anwendungen durch Governance risikoärmer gestalten.

 

Was man häufig liest wird nicht hinterfragt, sondern als gegeben gesetzt: „Die Welt nach der Pandemie wird nicht zu der Realität zurückkehren, die wir vor COVID-19 kannten. Was genau bedeutet dies für Führungspersonen? Wie führen wir unsere Gesellschaft und Wirtschaft durch diesen Übergang?“ Die hochkarätigen internationalen Experten wollen „dabei helfen, eine schärfere Voraussicht in Bezug auf künftige Risiken und Chancen zu entwickeln und die Schritte zu ermitteln, die Sie unternehmen können, um sich auf die neuen Strukturen und Muster jenseits der Pandemie vorzubereiten“. Konkret werden folgende Fragen untersucht: „Aus der Krise herausführen - Wer füllt Führungslücken und wie verändert sich die Führung in Zukunft?“ Im Bereich Technologien: „Welche neuen Technologien und damit verbundenen Geschäftsmodelle werden entstehen, und wie wird die Technologie die neue Realität unseres Lebens und unserer Unternehmen verändern?“ Zur „Ungleichheit“: „Wer gewinnt und wer verliert in der Post-Pandemie-Wirtschaft, und was sollten wir dagegen tun?“ Zur Zukunft der Globalisierung: „Wie sieht das neue Gleichgewicht von global vs. lokal aus? Wie passen sich Organisationen an die neue Realität des globalen Geschäfts und der Lieferketten an?“ Und dies noch: „Wird China bei der Überwindung der Krise die Führung übernehmen?“ 

 

Wohin ein guter Teil der Teilnehmergelder fließt ist auch vermerkt: „ Der Reinerlös dieses Gipfels (60% des gesamten Ticketverkaufs) wird der GoFundMe.Org gespendet, um zum weltweiten Kampf gegen die Pandemie beizutragen.“ Die 2016 gegründete Wohlfahrts-organisation verteilt gespendete Gelder, um bestimmte Anliegen zu unterstützen. Es sind ja in diesen globalen Netzwerken sicherlich kluge und engagierte Leute tätig. Man kann sich zum Event auch anmelden und mitmachen. Nur wird die arbeitende Bevölkerung, die Steuer-gelder erwirtschaftet, wohl nichts davon erfahren. Sie werden sich irgendwann in einem neustrukturierten öffentlichen Leben wiederfinden. Geht so Demokratie?  


2.6.2020

BMBF fördert „Gesellschaft der Ideen“

 

Mitten in der Corona-Krise, wegen der etliche Selbständige ihre Existenzgrundlage verlieren, präsentiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein neues Förderprojekt. Die Richtlinie „Gesellschaft der Ideen – Wettbewerb für Soziale Innovationen“ erschien am 6. Mai im Bundesanzeiger. Dort steht zum Beispiel: „Soziale Innovationen verändern das gesellschaftliche Miteinander. Das ‚Soziale‘ der Sozialen Innovationen bezieht sich wie bei dem Begriff ‚Social Media‘ oder ‚Soziale Netzwerke‘ auf zwischenmenschliche Interaktionen.“ Gemeint sind alle Bereiche des Lebens; von Technologie über Arbeits- und Produktionsprozesse bis hin zu „neuen Kooperationsformen“. Eine inhaltliche Eingrenzung wird ausdrücklich nicht getroffen. Man geht wohl davon aus, dass alles mit allem zu tun hat. Was gefördert sein will, muss nur „forschungsbasiert“ sein. „Ziel der Förderung ist, Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu finden. Die Projektideen sollen von denjenigen stammen, die den gesellschaftlichen Herausforderungen am nächsten sind. Daher sollen zivilgesellschaftliche Akteure eingebunden werden“, die dann in „Experimentierräumen“ die Ideen erproben. 

 

Betreffend Förderung „entscheidet die Bewilligungsbehörde aufgrund ihres pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“. Zuwendungen in der Erprobungsphase werden „für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten in einer Gesamthöhe von bis zu 200.000 Euro pro Projekt als nicht rückzahlbare Zuschüsse für Personal-, Sach- und Reisemittel gewährt“; inklusive möglicher Projektpauschale. Zuwendungsfähig sind Personal-, Sach- und Reisemittel, Kosten für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation mit relevanten Akteuren sowie Ausgaben für die Vergabe von Aufträgen, zum Beispiel für die Durchführung von Workshops. „Nach positiver Begutachtung am Ende der Erprobungsphase ist eine Anschlussförderung von bis zu weiteren 36 Monaten möglich.“ Laufzeit dieser Förderrichtlinie: vorerst bis zum 30. Juni 2021. „Sollte die zeitliche Anwendung der AGVO ohne die Beihilferegelung betreffende relevante inhaltliche Veränderungen verlängert werden, verlängert sich die Laufzeit dieser Förderrichtlinie entsprechend, aber nicht über den 31. Dezember 2023 hinaus. Sollte die AGVO nicht verlängert und durch eine neue AGVO ersetzt werden, oder sollten relevante inhaltliche Veränderungen der derzeitigen AGVO vorgenommen werden, wird eine den dann geltenden Freistellungsbestimmungen entsprechende Nachfolge-Förderrichtlinie bis mindestens 31. Dezember 2023 in Kraft gesetzt werden. Berlin, den 23. April 2020.“ 

 

Das Wort „Coronavirus“ kommt im Text nicht vor. Man stelle sich mal vor, wie es jenen geht, die den real existierenden Herausforderungen tatsächlich am nächsten sind, wenn sie darüber lesen, dass „zivilgesellschaftliche Akteure“ in Experimentierräumen an Ideen rumprobieren, um die Gesellschaft zu verändern und dafür Hunderttausende Euro vom Staat bekommen. 

 

Nachtrag vom 3.6.: Die Bundesregierung fördert den Verein "Das Progressive Zentrum" im Jahr 2020 mit fast 600.000 Euro. (!) Die Förderung eines Zuwendungsempfängers setze nicht voraus, dass der Zuwendungsgeber sämtliche politischen Positionen eines Zuwendungsempfängers kennt, teilt oder sich diese zu eigen macht. Mehr zum Verein bei Wikipedia. Vereinswebsite


19.3.2020

Beratung für Neuzugewanderte

 

Man fragt sich schon, weshalb Stellenangebote wie solche aktuell überhaupt ausgeschrieben werden. Oder ist in diesem Segment die Durchführung von Veranstaltungen und Schulungen noch erlaubt? Wissenswert wäre auch, ob im Rahmen der geforderten Informationsarbeit die Dringlichkeit der Einhaltung von Quarantäne-Maßnahmen vermittelt wird, damit höchst verantwortungsloses Verhalten wie gerade in Suhl zu beobachten künftig unterbleibt. 

 

Nachtrag: "Die Bundeswehr ist wegen der Corona-Krise vom Land Thüringen gebeten worden, in einer Unterkunft für Asylbewerber in Suhl zu helfen ... 'Es geht dabei nicht um Bewachung, sondern um die Sicherung der Versorgung für die rund 500 Bewohner, die in Quarantäne sind'." 


6.3.2020

Das Machtkartell der NGOs

 

Angesichts der professionellen Vernetzung ist es kein Wunder, dass außerparlamentarische Vereine „Druck auf die Bundesregierung“ zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem türkisch-griechischen Grenzbereich bewirken können. Dass sie damit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt in die Hände spielen und faktisch mit diesem kooperieren, wird geflissentlich übergangen: „Die Türkei will Griechenland mit Hilfe von Spezialeinheiten an der Rückführung von Migranten hindern. Außerdem sollten am Grenzfluss Evros Schlauchboote eingesetzt werden … sein Land habe die Grenze für Flüchtlinge und Migranten geöffnet, die nach Europa wollten.“ So leicht lässt sich Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht ins Bockshorn jagen: „Wer dem Druck durch Präsident Erdogan jetzt nachgebe, riskiere ein zweites Jahr 2015 … Die Menschen an der griechisch-türkischen Grenze würden von Erdogan ‚ausgenutzt‘ und ‚instrumentalisiert‘ … ‚Dieses Spiel dürfen wir nicht mitspielen‘. Kurz argumentierte, die zuletzt an die griechische Grenze gelangten Menschen hätten keinen Anspruch auf Asyl.“ Sie kämen großteils nicht aus syrischem Kriegsgebiet, sondern lebten als Migranten schon jahrelang in der Türkei und würden dort nicht verfolgt, hätten also kein Recht auf Asyl in Griechenland. „Kurz führte auch ins Feld, einige dieser Menschen seien ‚gewaltbereit‘.   Wenn es den Menschen an der griechisch-türkischen Grenze gelinge, bis nach Mitteleuropa durchzukommen, würde dies die Flucht von Hunderttausenden ‚und später vielleicht Millionen‘ weiteren Menschen nach sich ziehen, warnte der Kanzler.“

 

Hiesige NGOs und ihre Partner sind für solche Weitblicke nicht bereit. Ein Beispiel aus der Szene, wo einige Fäden zusammenlaufen, ist die „Bewegungsstiftung“, die zum Beispiel die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ oder die „Seebrücke“ finanziell fördert und das „Alarm Phone“ betreibt – eine „Hotline, die rund um die Uhr von sich abwechselnden Schichtteams für Geflüchtete und MigrantInnen in den Booten erreichbar ist und die in Echtzeit alles dafür tut, dass diese so schnell wie möglich gerettet werden“. Als „Teil einer zivilen Unterstützungskette“ verhindere man damit auch Rückschiebungen nach Libyen. „Ein Beispiel ist der 3. April dieses Jahres, als uns 64 Personen von einem Schlauchboot anriefen, die kurze Zeit später von der ‚Alan Kurdi‘, dem Schiff von Sea-Eye, gerettet werden konnten.“ Zu den Aufgaben des „Alarm Phone“ gehört neben der Koordinierung von Rettungen durch NGO-Schiffe auch die Ausübung von Druck auf die Küstenwachen. „Mittlerweile alarmieren 65 bis 80 Prozent aller Boote, die aus Libyen zu entkommen versuchen, die Notrufnummer dieses antirassistischen Netzwerks … In diesem Jahr hat das Alarm Phone allein in dieser Region so zur Rettung von etwa 800 Menschen in sichere Häfen beigetragen.“ Für die entsprechende Arbeit der „Bewegungsarbeiter*innen“ sind Patenschaften organisiert.

 

Die gemeinnützige Bewegungsstiftung macht keinerlei Hehl aus ihrer eindeutigen politischen Ausrichtung. Zum Hintergrund: „Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte dabei Anfang 2019 festgestellt, dass die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im eigenen Sinne nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig ist. Auf der Grundlage dieses Urteils wies das Hessische Finanzgericht kürzlich eine Klage von Attac gegen den Verlust der Gemeinnützigkeit ab … Auch der Kampagnenorganisation Campact hatten die Finanzbehörden vergangenes Jahr den Status einer gemeinnützigen Organisation aberkannt.“ Gleichwohl kündigten die Finanzministerien aktuell an, „bis Ende 2021 keinen weiteren Vereinen auf der Grundlage dieses Urteils den Status der Gemeinnützigkeit“ zu entziehen – „aus Vertrauensschutzgründen“. Weil Kritiker das BFH-Urteil „als Angriff auf die Zivilgesellschaft“ werteten und die von der Bewegungsstiftung mit gegründete Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ mit ihren mehr als 150 Vereinen und Stiftungen eine entsprechende Anregung gab, könnte die Sache erneut am BFH landen. Das breite Netzwerk aus außerparlamentarischen Zusammenschlüssen, das sich in fast jedem Satz die Verteidigung der Demokratie auf die Fahne schreibt, würde sich wohl am liebsten sämtlicher Komponenten der Gewaltenteilung bemächtigen.


18.2.2020

Monopolkommission zur Wohlfahrtspflege

 

Man könnte ein Riesenfass damit aufmachen: Die FAZ im Dezember 2019: „Aus der Sicht von Werner Schipmann, Bundesfachreferent des Bundesverbands privater Träger der freien Kinder-, Jugend-, und Sozialhilfe, behindern die ‚nach wie vor verbreitet vorhandenen korporatistischen Strukturen‘ zwischen Politik, Verwaltungen und Wohlfahrtsverbänden und die damit verbundenen einseitigen Privilegien für gemeinnützige Organisationen einen im Interesse der Bürger notwendigen Wettbewerb auf den Feldern der Sozialen Arbeit.“ Wie zutreffend das mit den „korporatistischen Strukturen“ zwischen Politik und Wohlfahrtsverbänden ist, dokumentiert die aktuell von der Hessenschau aufgedeckte Unverschämtheit im Rahmen der Causa AWO

 

„Sozialdezernentin Birkenfeld belog Presse und Parlament“, heißt es dort. Es geht um ihre irreführenden Angaben zur Frage, warum sich die Stadt von der AWO als Betreiberin von Flüchtlingsheimen getrennt hatte. „Mehrere Medien und das Stadtparlament bekamen vom Sozialdezernat Angaben, die die wahren Vorgänge vertuschen sollten ... Die irreführende Darstellung der Vorgänge habe Birkenfeld in einer so genannten Sprachregelung mit der AWO vereinbart. Man habe das Ansehen der Arbeiterwohlfahrt in der Öffentlichkeit nicht beschädigen wollen. Und das sei rechtlich in Ordnung gewesen, findet das Sozialdezernat ... 'Wenn die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt wurde, dann ist das Lüge',“ so Rechtswissenschaftler Rusen Cikar: Auch eine Sprachregelung eröffne kein Recht auf Lüge.

 

Ein Kommentar dazu: „Dass die Frankfurter Sozialdezernentin sich mit der AWO zur Verschwiegenheit über deren krumme Geschäfte einigte, ist bedenklich und höhlt das Vertrauen in Politik aus ... Noch schlimmer ist, dass die Stadträtin sich überhaupt keiner Schuld bewusst ist. Kein Wort des Bedauerns ist ihr bisher über die Lippen gekommen. Stattdessen erklärt die CDU-Politikerin trotzig ..., immer ordnungsgemäß informiert zu haben. Wohlgemerkt: Ordnungsgemäß, nicht wahrheitsgemäß. Sie beruft sich auf eine mit der Arbeiterwohlfahrt vereinbarte Sprachregelung ... wie kann sich Birkenfeld auf so eine Vereinbarung einlassen? Sie hat, um es zuzuspitzen, sich mit mutmaßlichen Betrügern dazu verabredet, den Frankfurter Bürgern die Wahrheit zu verheimlichen ... Es ist bedenklich, wenn Birkenfeld angibt, solche Sprachregelungen seien üblich, das Rechtsamt der Stadt habe dagegen nichts einzuwenden.“ Effekt: „Traue keiner einzigen offiziellen Auskunft mehr, denn sie könnte das Produkt einer geheimen Sprachregelung sein. So wird auch das letzte Vertrauen in Politik zertrümmert.“

 

Beim „System AWO“ rückt auch eine bekanntere Politikerin in den Blick: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Vorsitzende der dort ansässigen SPD, AWO-Mitglied, vormals Bundesfamilienministerin in Berlin. Der Nordkurier zitiert Ex-Wohlfahrts-Manager Peter Olijnyk aus dem Awo-Untersuchungsausschuss: „Ich kann mich nicht erinnern, dass das Land für gewährte Fördermittel Verwendungsnachweise gefordert hat … Im Pflegebereich war es ein Leichtes, Bundes- und Landesmittel zu bekommen.” Das habe „politische Sprengkraft – nähren sie doch den von vielen Ausschussmitgliedern gehegten Verdacht, dass über viele Jahre Steuergelder vom Sozialministerium in Schwerin mehr oder weniger unkontrolliert in die Kassen der Wohlfahrt geflossen seien. Und nach einem internen Schlüssel unter Awo, DRK, Caritas und Co. verteilt worden waren.“ 

 

Das Machtkartell der großen Wohlfahrtsverbände und ihrer politischen Lobby scheint unangreif-bar zu sein. Allein ein Blick nach Hamburg zeigt: Träger des dortigen Flüchtlingszentrums sind in gemeinschaftlicher Absprache „die Hamburger Landesverbände der Arbeiterwohlfahrt und des Deutschen Roten Kreuzes sowie der Caritasverband für das Erzbistum Hamburg“. Wer wollte sich damit schon anlegen, um kleineren privaten Vereinen mehr Chancen im Feld der Sozialen Arbeit zu ermöglichen? Dabei hat die Monopolkommission dies 2012 erneut als „Problem der Wettbewerbspolitik“ erkannt, zumindest bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe:

 

„Die Monopolkommission hat sich zuletzt in ihrem XII. Hauptgutachten 1996/1997 (‚Marktöffnung umfassend verwirklichen‘) mit der Stellung der Freien Wohlfahrtspflege im sozialen Versicherungssystem beschäftigt und im Zuge dessen neokorporatistische Strukturen kritisiert, die sich als ‚bilaterales Kartell‘ darstellten. Für eine Öffnung dieser damals vielfach weitgehend geschlossenen Strukturen der Wohlfahrtspflege forderte die Monopolkommission im Wesentlichen die konsequente Anwendung des GWB als Reformhebel, des Weiteren eine Nichtdiskriminierung anderer Leistungserbringer und einen ungehinderten Marktzugang, eine Reform des Gemeinnützigkeitsprivilegs auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung bei einer reinen Orientierung am Förderungszweck sowie eine Subjektförderung anstelle der bislang überwiegend praktizierten Objektförderung … Privilegien weniger großer etablierter Anbieter wie der Liga der Spitzenverbände zulasten Dritter be- oder gar verhindern den Wettbewerb. Daraus können negative Folgen wie Überbürokratisierung, geringe Innovationen oder mangelndes Kostenbewusstsein in der Kinder- und Jugendhilfe entstehen.“ 

 

Auch das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten sei nur durch eine „Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten“ und Methoden gewährleistet. Außerdem: „Das Leistungssystem der Kinder- und Jugendhilfe ist zu einem Großteil steuerfinanziert und dennoch von Intransparenz geprägt.“ Immerhin will man in MV nun ein Transparenzgesetz auf den Weg bringen. Der Bericht der Monopolkommission geht auch auf das „Institutionelle Wettbewerbshemmnis: Der Jugendhilfeausschuss“ ein. Jedenfalls habe laut FAZ die Politik immer noch nicht für ausreichende Änderungen auf der gesetzlichen Ebene gesorgt. „Der Gesetzgeber müsse die Ungleichbehandlungen beenden und für faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen in den Leistungsfeldern der Sozialhilfe wie auch der Kinder- und Jugendhilfe sorgen“, so Schipmann zur FAZ. Eher noch geht wohl die Kuh aufs Glatteis.

 

Nachtrag vom 25.2.: Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erntet Kritik: "Ihre langjährige Vertraute aus der SPD-Parteizentrale in Berlin, Jutta Bieringer, hat überraschend eine Leitungsfunktion in der Vertretung Mecklenburg-Vorpommern beim Bund in Berlin übernommen ... Jetzt leitet die 48-Jährige das Referat 'Kultur und Medien' in der Landes-vertretung in Berlin. Eine Stelle, die es so vorher nicht gegeben hat. Die Landesvertretung ist direkt Schwesigs Staatskanzlei unterstellt ... Mitarbeiter fühlten sich zurückgesetzt ... Von 'Unruhe' in der Landesvertretung ist die Rede ... Die Staatskanzlei widersprach den Vorwürfen ... Bieringer habe die Stelle bekommen, 'da sie im Vorstellungsgespräch überzeugen konnte und sich als fachlich bestgeeignete Bewerberin herausstellte' ... Dass SPD-Parteimitglieder in Schwesigs Staatskanzlei anfangen, ist nicht neu ... Die drei Fälle sind nur ein kleiner Teil eines großen Personalumbaus, den Schwesig seit ihrer Amtsübernahme im Juli 2017 vorangetrieben hat. Der Apparat ist nahezu komplett ausgetauscht. Die Regierungschefin hat die Positionen Staatskanzlei-Chef, Abteilungs-, Referats- und Büroleiter teilweise mehrfach neu besetzt und sich dabei mit engen Vertrauten umgeben. Spitzenbeamte, die unter ihrem Vorgänger Erwin Sellering (SPD) Karriere gemacht haben, sind in andere Ministerien versetzt worden. Die Personalpolitik führt seit einiger Zeit zu Unmut in den Ministerien, Beamte, die nicht genannt werden wollen, sprechen von einem Umbau wie nach einem Regierungswechsel."


10.1.2020

„Populismus-Puzzle“

 

Institutionen und Vereine sind schon zu Anfang des Jahres wieder eifrig dabei, aus ihrer Filter-blase heraus einseitig Stimmung zu erzeugen. Das „Gesamteuropäische Studienwerk“ betitelt ihr „Multiplikatorenseminar“: „Populismus und Separatismus in Europa.“ Die Teilnehmer spielen unter anderem in Form von Gruppenarbeit ein „Populismus-Puzzle“. Das Programm wird aus Mitteln der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) gefördert. In der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, mit freundlicher Untersützung durch das Auswärtige Amt, trifft sich die Europäische Akademie Berlin mit ihren Gästen unter der Überschrift „Teile und herrsche – Europa im Kampf gegen Falschinformation“. Interessant in der Ausschreibung: Die Uni Oxford identifizierte etliche Länder, in denen „politische Parteien oder die Regierung selbst das Internet genutzt haben, um durch gezielte Desinformationskampagnen Unruhe zu stiften, politische Gegner mundtot zu machen und grundlegende Menschenrechte zu unterminieren. Meistens sind die Absichten dabei innenpolitischer Natur.“ Die deutschen Verantwortlichen werden sich sicher nicht davon angesprochen fühlen, wie es sich allein schon aus dem Zusammentreffen der Deutungselite im November in Stuttgart erschloss. Der Einladung des baden-württembergischen Staatsministeriums waren „350 Führungsköpfe aus Medien, Wissen-schaft und Politik“ sowie aus den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gefolgt, die sich einig sind im Kampf gegen ihre Kritiker. Mittendrin in seiner Blase auch das Wissenschaftszentrum Berlin. Zu einer Debatte über das Buch „Smarte Spalter: Die AfD zwischen Bewegung und Parlament“ sind für den 20. Januar unter anderem eingeladen: Britta Haßelmann von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Stephan J. Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, und als Moderatorin eine taz-Journalistin. Pluralität sähe anders aus.